Krass!

Sonnenuntergänge sind eines meiner Lebenselixiere. Und wie schön in diesem Augenblick wieder die warme Augustsonne untergeht hier in Südschweden und die Umgebung in ein goldenes Licht eintaucht. Für einen kurzen Moment kitzeln uns die Sonnenstrahlen wischen Zäunen, Toilettenhäuschen und Wohnwägen hindurch an der Nase. Der Himmel hinter den Müllcontainern wechselt seine Farbe von orangerosa zu lila und blau. Glaube ich zumindest. Ich liebe die frische Meeresbrise! Momentan sogar gemischt mit einem süß-saurem Müllgeruch und zeitweise beglückt einer der Camper unser Näschen durch das Entleeren von Du-weißt-schon-was. Immerhin stehen wir gegenüber des Spielplatzes, so dass wir das Gestreite unserer Kinder hautnah und jederzeit miterleben können. Ich schaue zu Matthias rüber. Wer ist dran als Streitschlichter? Beide tun wir schnell so als hätten wir gerade was Superwichtiges zu tun.

Zynisch grinsend und erschöpft sitzen wir wieder auf unseren Campingstühlen dem Gesicht gen Sonnenuntergang und den abendlich klirrenden Glascontainern gerichtet. Eindeutig zeigt uns das Universum gerade den Stinkefinger und uns ereilt eine Erleuchtung. Die Einsicht, dass wir so ganz und gar nicht mit Herz, Bauch und Kopf in Verbindung sind. Wir reagieren nur noch, als dass wir agieren und uns Zeit nehmen. Also verabschiedet sich auch die Intuition und der ein oder andere magische Moment. Bei der Ankunft hier auf dem Campingplatz in Järnavik kam meine Seele nicht mehr hinterher. Mein Kopf tat weh, ich war genervt und kurzerhand bekamen wir zwar den Platz nah am Meer und sogar mit Spielplatz, aber auch gegenüber der Müllstation und nahe der Latrine und Grauwasserentsorgung. Es war der erste Tag der schwedischen Nebensaison und das schon Mitte August. Urplötzlich werden an dem Tag die Bürgersteige hochgeklappt, Shops, Eisdielen und Restaurants hier am Platz haben geschlossen und wir mussten zum Leidwesen der Kinder essenstechnisch für den Tag schlau und minimalistisch überbrücken. Hinzu kommt, dass die Sonne und ihre schwüle Hitze seitdem erbarmungslos auf uns herab brennt, denn der Traumplatz hat keinen Schatten.

Danke also für diese eindeutigen Zeichen der Überholspur. Einmal falsch abgebogen, mehrmals unachtsam gewesen, und schon macht’s bäng. Und bäng kann vielerlei Formen annehmen. Manchmal schlagen wir uns die Köpfe ein doch diesmal schlägt’s über unseren Köpfen ein. In der heißen Nacht überrollt uns ein heftiges Gewitter. Ich stehe bei den verängstigten Mädels an ihrer Schlafkoje und bin selber trotz des gruseligen Donnerwetters ganz ruhig. Und dankbar. Ich weiß, morgen hat sich die Welt um und in uns wieder beruhigt und aufgeklart. Wir werden die letzten zwei Wochen abschließend hinter uns lassen. So eine Auswanderung ist tatsächlich kein Zuckerschlecken. Und während es wieder über mich zusammenkracht, denke ich an unsere bisherige Reisezeit zurück:

Nachdem wir in Deutschland vier schöne Urlaubstage mit Freunden in Kratzeburg an der Müritzer Seenplatte verbracht haben, bin ich bei unserer Abreise innerlich immer noch angespannt und unausgeglichen. Ich komme gar nicht zur Ruhe und will irgendwie nicht die Fähre nach Schweden nehmen und irgendwie doch. Lieber den Augenblick herauszögern, wo wir bewusst schwedischen Boden betreten und unsere verrückte Idee spürbar wird? Nein, und ja, und ich weiß nicht. Aber irgendwann ist es einfach soweit und wir befinden uns auf der Fähre. Diesmal schlauerweise mit Kabine, so dass die Zeit nicht allzu lang wird und wir inmitten meiner emotionalen Verfassung eine deutsche Familie treffen, die seit Jahren in Schweden lebt. Genau zum richtigen Augenblick, denn sie bestärken, beruhigen, begeistern und beraten uns. Ich bin endlich wieder neugierig! Gierig darauf, das Neue zu entdecken, auch wenn unsere Mädels das definitiv anders sehen und sich einfach noch nicht einlassen wollen auf die genialen Ideen von Mama und Papa.

Knapp eine Woche lang verweilen wir am Beddingestrand nur eine halbe Stunde von Trelleborg entfernt. Der Urlaubstank ist immer noch gähnend leer. Ich könnte die letzten Wochen und Monate an fehlender Energie mit einem hundertjährigen Schlaf nachholen. Statt dem ersehnten Dornröschenschlaf füllen wir unsere Energiereserven langsam mit Spaziergängen am Meer, Sand zwischen den Zehen, schwedischen Eis, Sushi, Hängematten und die Mädels mit Kontakten zu neuen Freundinnen auf. Wir sind immer noch nicht im Reiseflow, die Zündschnur unseres Familiengeduldsfaden ist weiterhin zu kurz, und das obwohl ich ein Frühstück am Strand und ein Pupskissen zum Geburtstag geschenkt bekomme. Bis heute ein Running-Gag für denjenigen unter uns, der eigentlich eine beleidigte Lebewurst bekommen müsste. Einmal gepupst und die Mundwinkel hängen nicht mehr ganz so schief. Die Enge im Toyo wird uns stündlich bewusst beziehungsweise geht uns tierisch auf den Wecker. Jeder von uns Fünfen, ob groß oder klein muss seine Bedürfnisse zurückschrauben, Kompromisse eingehen, verzichten, Räume teilen. Gleichzeitig ist da die Traurigkeit unserer Kinder, die Familie, Freunde und Haus vermissen sowie der Alltag des Minimalismus, den wir uns erst wieder vertraut machen müssen. Puh, und selber stürzen ja auch noch Gefühle, Gedanken und wilde Träume auf uns Erwachsene ein. Mit einem Wort: echt krass! Ok. Da reichte ein Wort nicht aus.

„Scheißtag, in Schweden ist ja nie Sommer“ laut meiner Mädels, die das sch-Wort viel zu gerne im täglichen Gebrauch haben. Es ist ein stürmisch regnerischer Tag und genau an dem passiert es dann doch endlich. Wir halten spontan in Smygehuk an, entdecken, dass es Schwedens südlichster Zipfel ist, verlieben uns in die wilden Dünen, entdecken die Akkustik des Meeresrauschens und erfreuen uns der schwedischen Tradition „fika“. Fika ist das gemütliche Kaffepäuschen gerne mit ein paar süßen Leckerbissen. Und Gemütlichkeit, das können die Schweden, Käffchen sowieso und von Leckerbissen haben sie definitiv eine vollwertige Ahnung. Unsere innerlichen Wogen glätten sich allmählich, von meinen Schultern plumpsen ein paar Steine und ich beginne mich zu entspannen. Immerhin ein Beginn, denn der Prozess selber ist bis heute noch nicht abgeschlossen. Ist aber in Arbeit.

Am Campingplatz schwärmt uns ein netter Schwede von der Westküste vor. Wenn wir schon frei wären in unserer Auswahl an Heimat dann würde er dorthin ziehen. Na wenn das so ist! Das kennen wir ja dort noch nicht. Man soll ja den Zeichen, die einem so zugespielt werden, folgen. So ändern wir spontan unsere seit Monaten bestehenden Pläne die Ostküste entlang zu fahren und halten uns nach der Campingplatzausfahrt links Richtung Nordsee. Genau für fünf Minuten bis zur nächsten Tankstelle. Matthias und ich schauen uns an. Nein, wir kehren um. Unsere Intuition führt uns doch weiter Richtung Osten, auch wenn unser berühmtes Bauchgefühl sich laut der sinkenden Stimmung im Toyo eher als Hunger entlarvt. Ich schaue auf Google Maps nach einem interessanten Ort, wo wir unsere Baguettes verschlingen können und tippe auf einen Südostzipfel namens Kåsberga. Da schmecken unsere Käsesandwichs bestimmt besonders gut. Das Essen wird zwar schon auf der Fahrt vernichtet, dafür ist noch Platz für Eis. Wir schlendern durch das Örtchen am kleinen Hafen während Maja unentwegt vor sich herumschimpft. Ihre hochsensible Nase hat die Nase voll. Der Seetang stinkt in der Mittagshitze selbst für uns zum Himmel. Und wir möchten tatsächlich am Meer leben??? Und warum nur sind hier eigentlich so große Parkplätze? Ist hier irgendwo ein verstecktes Touristenhighlight? Um dem Geruch zu entkommen, erklimmen wir den Wiesenpfad die Klippen hoch. Es ist heiß, Henry fällt die Eiskugel in den Dreck und alle wiegen sich mal wieder im Ungleichgewicht. Die Mädels finden weitere kreative Fluchworte um ihren Unmut auszudrücken. Ein Schild, dem mehrere Menschen folgen, führt nach „Ales stenar“ und entfacht unsere Neugier. Vielleicht kommen wir dem Geheimnis des Ortes gerade näher…

Eine Stunde später. Wir wollen uns nicht von diesem magischen Ort trennen. Wir sitzen mehrere Zehnmeter höher an einer Klippe und sind dankbar für den plötzlichen Frieden in uns. Wir werden definitiv wiederkommen und solange wie möglich das Himmelszelt, den Sonnenuntergang und die Weite des Meeres betrachten. Ales Stenar. Oben auf der Klippe steht ein großer, ovaler Steinkreis, der Blick ist einzigartig und der Ort strahlt Schönheit, Ruhe und alten Zauber aus. Obwohl ich nichts darüber weiß, ist das Besondere spürbar. Später lesen wir nochmal nach, dass der Kreis in Form eines Schiffes gelegt worden ist und die Steinsetzung irgendwas mit den einzelnen Jahreszeiten oder Monaten und dem Sonnenstand zu tun haben. Wir werden wieder kommen und dann lese ich mich vorher schlau. Für jetzt muss diese Anstrengung reichen, denn kaum am Toyo unten angekommen herrscht schon wieder große Erschöpfung. Das hat zum Ziel, dass wir abends inmitten von riesigen, weißen Wohnmobilen auf einem riesigen, teuren Platz ankommen, Matthias uns zum Meer wegschickt, Henry am Morgen unter größten Protest mal duschen muss und wir von Susanna kurz nach der gestressten Abfahrt einen Aufschrei hören: „Der Nemo ist weg!!!“

Sammy und Nemo. Das sind die allerallerallerallerliebsten Lieblingskuschelfischchen von Maja und Susanna, die seit Jahren immer und überall mit dabei sein dürfen und immer wieder für große Aufregung sorgen. Sie wurden schon mehrmals als vermisst gemeldet, tauchten immer wieder aus ihrem Geheimversteck auf nachdem sie an den ungewöhnlichsten Stellen zu verschwinden, zu ertrinken und zu ersticken drohten, ob im Wasser oder im Sand. Mal gruben wir die jordanische Wüste nach ihnen um, mal bremste unsere Pferdekutsche damit der verlorene Nemo uns hinterhergebracht werden konnte, mal verschwand Nemo wochenlang im Buggy in der Reisekiste, mal wurde Sammy am Meeresboden vom bösen Schwan bewacht oder beinahe ins Hafenbecken geworfen, wenn eine dünne Eisenstange ihn nicht aufgehalten hätte. Nemo taucht also bestimmt wieder auf und steckt nur im Schlafsack oder in einer Toyoritze. Wir kurven von Skåne nach Blekinge, fahren an zwei Waldorfschulen vorbei sowie an ein paar potentiellen Häuschen. Wir beschnuppern das Meer und sind erleichtert, dass die restliche Küste unserer Nase wieder guttut, wir picknicken in den Dünen mit Aussicht auf zwei Seeotter am Meer. Das Leben kann so schön sein! Die Küstenlandschaft Richtung Karlshamn wechselt von Sandstrand hin zu kleinen Fjorden, Schärenküste und Kletterfelsen. Es ist wunderschön und selbst die superskeptische Maja ist beim Anblick der kleinen Waldorfschule in Karlshamn angetan. So langsam scheint sich der Widerstand unserer Mädels zu lösen, so ganz ganz langsam. Wir bleiben vier Nächte am Campingplatz neben der Stadt, springen ins Meer und erstarren zu Eis. Puh, diese Bucht ist mit Eiswasser gefüllt. Ich genieße die beißende Kälte beim schwimmen, die den Körper angenehm prickelt und gleichzeitig schmerzt. Unser Stellplatz an den Felsen ist fantastisch, denn nun hat jedes unserer Kinder seinen eigenen Rückzugsfelsen um sich gegenseitig und auch den Eltern mal auf Abstand zu sein. Die wunderschöne Meeresbucht mit den kleinen Uferwegen durch Kiefernwälder, den typischen, glatten Felsen und den kleinen Häfen zieht uns in den Bann und wir entdecken das Städtchen mit seinen Fischständen. Im Forschermuseum „Kreativum“ graben wir nach Fossilien, fliegen ins Weltall und sitzen im Düsenjet. Irgendwie gefällt es uns hier bei Karlshamn. Vor allem das Meer zieht uns und die Kinder immer wieder an und heilt so manche Abschiedswunde und bricht weiterhin Stück für Stück den Unmut bei unseren Töchtern.

Dennoch ziehen wir weiter um uns von außen ein paar Häuser anzusehen, die weiter im Inland liegen. Die Landschaft ist auch hier am See Ivosjön einfach schön. Die Häuser eher weniger und ein Tag am See reicht uns trotz 22° Grad Badewasser und einzigartigem Sonnenuntergang um uns am nächsten Tag wieder nach mehr Meer zu sehnen.

Susanna sehnt sich weiterhin nach Nemo. Wir krempeln komplett zum wiederholten Mal den Toyo bis ins letzte Eck um, alle suchen wir seit Tagen mit. Nichts. Auch Maja trauert um Sammys Spielkameraden, Matthias und mir blutet das Herz, wir wissen beide nicht wie wir es Susanna erklären sollen. Solch einen Verlust noch oben drauf wird sie nicht gut verkraften. Zwischendurch fallen unsere Mädels immer wieder in ein kleines Tal des Heimwehs. Diesmal erwischt es Maja mitten in der Fahrt, so dass wir spontan anhalten an Mörrums Lachscenter, das wir schon vom letzten Jahr in Schweden kennen. Ich krabbel nach hinten um Tränen zu trocknen: Majas Heimwehtränchen, Susannas Findet-Nemo-Tränchen und Henrys Ich-bin-gerade-aufgewacht-und-will-unbedingt-meine-Kamera-Tränchen. Ooooh mannomann, manchmal möchte ich entweder mitweinen, selber zusammenbrechen oder wünsche mir, dass wenigstens die drei Welten nicht immer gleichzeitig untergehen. Wegen Nemo weine ich tatsächlich wirklich ein wenig mit. Susanna erzähle ich meine tragische Geschichte mit meinem im Zirkus verlorenen Lieblingsteddybär. In den Rücksitztaschen krame ich dabei nach Henrys Kamera… Das Netz daneben hat ein verdächtige, gut versteckte, plauschige Beule und mein Herz schlägt höher. Meine Hand bohrt sich hinter Henrys Bücher und ich angle mir den total verdatterten Nemo. Ein ganze Familie jubelt mit Tränen in den Augen! Das Herz wird so viel leichter in so vielen Facetten, die Welt geht sprunghaft wieder auf und wir feiern das mit frischem Lachsessen bei dem wir eine ältere Dame kennenlernen, die vor vielen Jahren nach Schweden eingewandert ist. Auch sie gibt uns wieder Mut und Tipps. Waaas für ein Auf und ab und auf und ab und auf und ab! Trotz der Freude bin ich echt k.o. Ein inseriertes Häuschen am Meer, das keinerlei Sinn macht anzusehen (aber man weiß ja nie) führt uns nach Järnavik zu unserem Müllcontainerstellplatz mit Donnerwetter, wo die Gewitternacht tatsächlich mit einem Paukenschlag die letzten Berg- und Talfahrtwochen beenden.

Sonnenuntergänge mit Pipigeruch und Gewitternacht liegen hinter uns. Auf Regen folgt irgendwann Sonnenschein und unsere Geister haben sich einigermaßen beruhigt. Wir machen das Naheliegenste und ziehen einfach ein paar Stellplätze weiter. Die Mädels streunen tagelang mit ihrer neuen Mädels-Gang umher, feiern Süßigkeiten-Party, übernachten draußen unter unserer Markise, sind kaum noch aus der tiefklaren Meeresbucht rauszukriegen, schwimmen und springen bis dass sie selbst zu Fischen werden. Auch Henry findet Freunde in seinem Alter, verabschiedet sich wie selbstverständlich von uns, spaziert selbstbewusst umher, schmeißt jedem Camper ein „Hej!“ mit Handgruß und Augenzwinkern entgegen und entdeckt die Welt außerhalb unseres Sichtfeldes.

Wir Großen genießen diese atemberaubenden Ausblicke auf Meer und Schären. Für uns steht seit einigen Tagen fest, dass wir hier bei Karlshamn etwas finden möchten. Spontan statten wir dort der kleinen Waldorfschule einen Besuch ab und kommen aus dem Staunen und Begeistern nicht mehr heraus. Wir werden trotz unseres spontanen Überfalls trotz des ersten Schultages in Schweden so liebevoll empfangen und durch die familiäre Schule geführt und dürfen uns gerne wieder melden, sobald wir eine feste Adresse haben. Selbst die Herzen unserer Mädels weichen auf und wollen nun unbedingt auf diese Schule und keine andere mehr. Was plumpst uns ein Stein von Herzen, dass unser Bauchgefühl wirklich recht zu haben scheint und wir den richtigen Schritt hierher gemacht haben. Es fällt manchmal so schwer einfach dem Leben hingebungsvoll zu folgen und zu vertrauen. Immer wieder sind wir schwer von kapito, dass es nicht hilft wütend und verständnislos mit dem Kopf durch die Mauer zu preschen oder beleidigt davor stehen zu bleiben, wenn wir in eine Sackgasse geraten. Nein, Ruhe bewahren, besonnen bleiben, umdrehen, es gibt einen anderen Weg, der besser für uns ist oder es findet sich ein Geheimweg, den wir vorher nicht gesehen haben, raus aus der vermeindlichen Gosse, äh Gasse.

So auch wieder heute: Das gewünschte Ferienhäuschen am Isländerhof ist doch ausgebucht, Freundinnen fahren ab, Susannas schöne Haarpracht ist ohne Schere nicht mehr zu bewältigen, die Müdigkeit steckt weiterhin in den Knochen, die nächsten Stimmungsabgrundtiefs sind im Anmarsch und erwischen uns volle Kanne. Unsere schwedischen Nachbarn halten uns bestimmt schon für verrückt. Naja, wahrscheinlich haben sie recht. Also: vertragen, Bauchgefühl (mal wieder Hunger) folgen, im Strandcafe nach was essbaren suchen. Und finden. Und nicht nur das, sondern gleich auch noch eine deutsche Auswanderin kennenlernen, dessen Sohn auf dieselbe Waldorfschule geht und wir nun weitere Tage an diesem wunderbaren Ort bleiben.

Mehrmals gehen wir an dem zum Verkauf stehenden Häuschen vorbei, dass uns hierher geleitet hat, um uns zu vergewissern, dass es wirklich absolut keinen Sinn macht, da es einfach zu klein und zu sehr Baustelle ist. Aber die Gegend hier bei Järnavik lässt uns nicht los und so statten wir dem Maklerbüro spontan einen Besuch ab, da der Makler bezüglich des Häuschen weder auf Anrufe noch Email reagiert. Freundlich aber dennoch eindeutig werden wir noch vor der Bürotür der Agentur vertröstet, was Matthias nicht auf sich beruhen lässt und wir womöglich einen schwedischen Fauxpas begehen als wir den jungen Mitarbeiter bitten uns reinzulassen. Überraschenderweise ist der Makler doch da und gibt uns noch am selben Tag einen Besichtigungstermin. Auch wenn das Häuschen am Ende doch nicht für uns in Frage kommt lernen wir viel dazu. Abends treffen wir uns noch mit der deutschen Köchin des Cafes und ihrem Mann.

Aus einem puren Zufall und nur ein bischen Quatschen wird eine sehr nette Bekanntschaft. Die Zwei haben eine Bleibe für uns, die wir mieten können. Ein älteres, teilmöbliertes Haus, das sie gerade nach und nach renovieren, welches für uns aber ideal als Ausgangsbasis und vor allem als feste Adresse dient um uns in Schweden anzumelden. Denn wenn wir mittlerweile eines verstanden haben, dann dass ohne die schwedische Personennummer wir quasi ein unsichtbarer, handlungsunfähiger Niemand sind. Ohne diese Nummer können wir kein Bankkonto eröffnen, keine Verträge machen und nur schwer ein Haus kaufen. Mit fester Adresse können wir das nun angehen und auch mit der Schule wieder Kontakt aufnehmen. Wir brauchen noch zwei Tage um uns vom Toyoleben im magischen Järnavik zu verabschieden. Für Matthias und mir ging das plötzlich viel zu schnell, wir sind noch gar nicht bereit die Camperfreiheit loszulassen und in ein Haus zu ziehen. In meinem Kopf meldet sich verzweifelt eine Stimme, dass wir das nicht tun sollten, und wehrt sich vehement gegen den Gedanken irgendwo sesshaft zu werden. Ich will weiterhin ein freies Nomadenleben! Ich will noch nicht rein! Ich will draußen bleiben, im Abenteuer leben, umher reisen, die Welt entdecken, nicht rein ins Bequeme! Aber die Kinder wollen unbedingt.

Das Leben hat mir schon mehrmals gezeigt, dass es diese Stimme im Kopf gibt, die verzweifelt nach Aufmerksamkeit sucht und seeehr laut werden kann. Matthias kennt sie auch. Vor knapp 13 Jahren hat sie uns gesagt, dass wir auf keinen Fall in diesem Hostel in Chile bleiben wollen, haben beide händeringend nach Wegen gesucht dort weg zu kommen, obwohl es fantastisch dort war. Mit dem Kopf wollten wir unbedingt weiter. Doch beide wurden wir durch äußere Umstände überzeugt zu bleiben, wir kapitulierten und folgten dem, was das Universum mit uns vorhatte, so dass Matthias und ich gezwungen waren uns im Hostel in der Küche kennenzulernen um misstrauisch auf unsere Kochtöpfe acht zugeben, dass der jeweils andere nicht so einfach mitkocht. Noch heute lassen wir uns nur ungern von dem anderen in die Töpfe schauen. Wir wissen aber nur allzu gut, dass wenn dermaßen glückliche Zufälle und eindeutige Wegweiser in den Lebensweg grätschen, wir uns dem Leben einfach hingeben sollten und die laute Stimme im Kopf nicht zu ernst nehmen sollten.

So führt uns das Leben zum wiederholten Mal nach Mörrum an der lachsreichen Mörrum. Vom Haus nur wenige Minuten entfernt liegt unser kleiner Campingplatz, an dem wir vor einem Jahr mehrere schöne Tage in und am Fluss verbracht haben. Und von wo aus wir den Fliegenfischern fasziniert beim Fischen zusehen können. Noch kürzer ist es zum Lachszentrum, wo wir vor wenigen Tagen, den Nemo wiederfanden. Manchmal sieht man sich wirklich dreimal im Leben.

Seit einer Woche wohnen wir nun hier und bereiten alles für den Antrag der Personennummer vor. Da wir nicht auf der Flucht sind und wir uns nicht von Terminen hetzen lassen wollen, nehmen wir uns Zeit. Tut. Das. Gut. Die Mädels verbringen Stunden in ihrem Kletterbaum im Garten, und weitere Stunden mit Ostwind und Lightning McQueen endlich mal vor dem Bildschirm. Weiterhin begleitet uns das sommerliche Wetter und wir springen jeden Tag an einer anderen Badestelle ins Wasser entweder am Meer oder an einen der wunderschönen Seen. In großen Zügen genießen wir diese grandiose Natur voller Grün und Blau. Maja und Susanna fangen an über Babbel schwedisch zu lernen und was soll ich sagen?! Es macht ihnen so viel Freude, dass so Dialoge von uns kommen wie „So! Jetzt ist aber mal Schluss mit lernen!“ – „Och nöööö, ein Kapitel noch, bitteeee!“ oder: „Können wir nochmal schwedisch lernen?!“ – „Ihr habt doch schon so lange.“ – „Neee, das muss ich aber nochmal wiederholen jetzt!“ oder „Wann gibt’s endlich frukosten?“.

Wir haben dennoch zwei Termine nächste Woche, auf die wir uns richtig freuen. Zwei Besichtigungstermine von zwei sehr unterschiedlichen Häusern, eines im Wald und eines am Meer direkt bei unserem Järnavik und unsere Mädels kommen so langsam auf den Geschmack sich ein Leben hier vorzustellen. Gemeinsam versuchen wir ein Gefühl für die Gegenden hier zu bekommen. Wir kommen immer wieder in Gespräche mit den Schweden hier, die uns ein wirklich gutes Gefühl schenken, dass wir hier willkommen sind. Und welch eine Überraschung da schon wieder auf uns wartet! Ein verblichenes Plakat weist auf einen Markt oder so am Samstag irgendwann direkt in der Nähe des einen Hauses im Wald hin. Zwei Tage später stehen wir in der Mittagshitze auf der Wiese des Marktes auf dem von den Dorfbewohnern Hühner und Selbstgemachtes verkauft wird. Wir schlendern ein bisschen darüber und haben eigentlich Hunger. Den Kindern ist es viel zu heiß, so dass wir schon Richtung Toyo aufbrechen als ein Stand unsere Aufmerksamkeit einfängt. Ein einfacher Tisch mit selbstgeschnitzen Holzschalen und Tellern. Eine nette ältere Frau strahlt uns an, und dem humorvollen Mann kaufen wir gerne eines seiner Werke ab. Das Gespräch kommt wie üblich irgendwann dazu, dass wir nicht hier sind im Urlaub sondern zum Umziehen und ein Haus zu kaufen. Hej, wir könnten deren Haus kaufen, sie wollen ihres verkaufen. Ja, das weiter oben, im Wald. Wie es der Glücksfall will, sind das sympathische Ehepaar die Verkäufer des Hauses, wo wir bald einen Termin schon haben. Sie freuen sich total über uns und wir schütteln ungläubig den Kopf über diese ständigen Zufallsbegegnungen.

Es ist oft einfach… um es phantasievoll und poetisch mit einem, ach nee mit zwei Worten auszudrücken:

Echt richtig krass!

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Die Autorin

Gestaltung und Texte entspringen meistens aus meinen wirren Gedanken. Fotos, Lektorat und Kritik fallen in Matthias‘ Bereich. Geht aber auch anders herum. Schreiben und kreatives Zeug gehören zu meiner Leidenschaft und ich freue mich, wenn ich Menschen dadurch zum Lesen, Reisen, Träumen, Nachdenken oder Schmunzeln bringe. Viel Freude also hier auf unserer Familien-Reise-Abenteuer-Seite! Eure Miri

Und das schreibt ihr!