In meinen Reiseberichten steht anfangs immer das Gleiche: Die ersten Tage einer Reise existieren eigentlich hauptsächlich aus dem Einfinden, Akzeptieren und Einspielen des Reiselebens. Enger Raum, viel Familie, neuer Alltag, neue Aufgabenverteilung, wo ist was, was ist anders als beim letzten Mal und immer viel zu fahren. Und jedes Mal überrascht es uns von Neuem, dass es nicht sofort fließt. Eigentlich sollten wir daraus lernen, doch wir preschen nicht nur mal eben mit der Fähre auf die Insel, wir stürzen uns direkt in dieser sensiblen Zeit ins verrückte Getümmel von London. Und gleichzeitig lernen wir die wirkliche Bedeutung von wechselhaftem Wetter kennen.
Also alles auf einmal, und bei Toyoreisen mit drei Kindern stellen wir fest, wir haben weiterhin null Zeit für jegliche Vorbereitung. Die Fährfahrt nach England ist sehr entspannt. Wir beobachten handgroße, wunderschöne Quallen, den hässlichen Fabrikdunst von Dunkerque und die beeindruckenden, schneeweißen Kreidefelsen von Dover. Kaum von der Fähre runter erwischt es uns. Der Linksverkehr! Eiskalt rein ins Wasser. Und schnell merkt man was für ein Irrsinn das Ganze mit der falschen Seite ist. Denn dummerweise ist das Lenkrad mit Matthias ja auf der richtigen Seite geblieben. Ab jetzt muss der Beifahrer also hellwach bleiben, obwohl er, oder in diesem Fall SIE, gleichzeitig auch Catering, Kinderbetreuung, Navi und DJ ist.
Irgendwie fühlen wir uns ein wenig wie Billardkugeln. Die Kugeln haben keine Ahnung vom großen Plan des Spielers und so lassen wir uns von einem Ziel ins andere schubsen, mal sanft rollend, mal quer über’s Feld schießend. Das witzige daran ist, dass wir ständig vergessen, dass wir null Plan haben und erst beim Herumschubsen merken, aha, da geht’s wohl lang. Mittags alle Campingplätze in London antelefonieren, einer belegt, andere nicht erreichbar, der Fünfte hat noch viel frei und man kann sich mit dem Taxi zur Bahnstation fahren lassen. Genau das was wir gesucht haben! Zuvor ist jedoch endlich mal kurz Zeit zum Ausruhen. Andere hätten die Gelegenheit genutzt den Londontrip zu planen, wir schauen lieber den vielen Eichhörnchen hinterher, hängen die Hängematte auf, hängen frisch gewaschene Wäsche auf, hängen die Hängematte ab, hängen die nasse Kleidung wieder ab.
Also in England kann man vor allem eins sehr gut: gegen die Regeln verstoßen. Es gibt so viele (und 80% handeln darüber was Kinder alles nicht dürfen), dagegen ist Deutschland das Land der chaotischen Freiheit. Wäsche nur am Auto aufhängen, Kinder ständig überwachen und möglichst still am Stellplatz spielen lassen, oder noch besser: an die Leine nehmen. Wirklich jetzt! Und wenn das Kind das Steinchen nicht aufheben soll, wird es an der Leine hochgezogen! Unsere Hängematte aufhängen um das Baby drin schlafen zu legen? Nein, abhängen, please. Und bitte können Sie das schlafende Baby mal aus dem Sitz nehmen, damit ich es sehen kann? So ein britischer, fauler Grenzkontrolleur an der nicht vorhandenen, aber doch spürbar erwünschten EU-Grenze am Hafen. Manche schauen wir ungläubig an, manchen zeigen wir innerlich den Vogel, aber manchen kann man gar nicht böse sein, denn höflichste Höflichkeit ist das oberste Gebot hier. Die sind sooo nett und superhöflich, und sprechen such a lovely english, dass es fast schon niedlich ist. Weniger niedlich ist diese verrückte Brexit-Idee. Wir sind mittendrin in einem Land, dass sich noch umschauen wird. Für uns fühlt es sich manchmal an wie kurz vorm Untergang, denn dieser Brexit kann einfach nichts Gutes bewirken, gerade bei einem Inselstaat. Die werden sich noch umschauen. Doch zunächst schauen wir erstmal, nämlich kurz auf die Londoner Stadtkarte und denken, ach wird schon, Karte zu, Familienzeit.
Wird auch schon. Der morgentliche Dauerregen hört auf als wir in voller Regenmontur und Henry völlig illegal in der Bauchtrage im Taxi sitzen. Ein Ticketofficer organisiert uns lachend die richtigen Tickets als Matthias ihm sagt, dass wir ja offensichtlich Touristen sind und gerade voll keine Ahnung haben. Ich springe blindlings einfach in den dort stehenden Zug, der Officer meint, ist zwar der Falsche, aber wo wir schon drin sitzen, wir sollen einfach dann umsteigen. Doch wir treffen dort auf die Familie von Tamiem, Majas und Sannas neuer Campingplatzfreund, und folgen denen einfach zum Buckhingham Palace, wo gerade das tägliche Spektakel der lustigen (also die Wachen nehmen es ernst) Wachablösung stattfindet. Maja konnte zuerst nicht glauben, dass das Menschen sind. Wir lassen uns treiben, von dieser verrückten Stadt. Voller Menschen und Touristen (nein, das ist nicht immer das Gleiche), voller Busse, voller Reisegruppen, voller noch mehr Menschen, voller Taxis, noch mehr Busse, Touris, Straßen, Ampeln, Tauben, Enten, und immer wieder Busse. Und zwar die Doppelten. Es dauert nicht lange und wir bahnen uns per Google Maps und Doppelbussen unseren Weg durch London. Im Hydepark beobachten wir die königlichen Schwäne, Enten und Ratten und lassen eine Gänseschar typisch “move aside I am british“ passieren. Am Trafalgar Square gibt’s Sandwich und ein Klo. Beim Piccadily Circus vorbei, zwischen Hugo Boss, Marco Polo und Levis liegt Hamleys, einer der größten (irrsinnigsten, buntesten, kitschigsten, entertaintesten) Spielzeugläden der Welt und unsere zwei Mäuse suchen sich für den jeweils anderen ein Geburtstagsgeschenk (oh wunder, es ist ein Kuschelpferdchen) aus. Bestimmt brechen wir mindestens zehn Regeln, und das zu Fuß! Doch auch regelkonformes Busfahren will gelernt sein. Merke: vordere Tür ist der Eingang, ansonsten gibt’s britischen Ärger. Doppelbusfahren ist dennoch der Hit! Jedesmal oben in erster Reihe sehen wir Fünf auf das Ameisengetümmel herab, bestaunen die Verkehrsstaus, werden durch die hellen, alten Gebäudefronten gefahren, überleben die Roundabouts, und fallen dann uncool die Treppe runter um noch rechtzeitig auszusteigen. Vor Westminster Abey leisten wir uns Eis und Kaffee sowie ein Windelwechsel zwischen der kichernden Jugend. Big Ben suchen wir vergeblich und tippen mal auf dieses Big Monstrum voller Gerüste aber ohne Ben. Wir bestaunen das Riesenrad, dass nach unseren Einschätzungen nicht funktioniert oder doch, seeehr langsam und teuer, wie ja sonst nichts hier in London. Wir fahren zum Tower und finden ihn nicht. Irgendwann stellen wir fest, dass wir gar nicht wissen, dass der Tower ein altes, flaches Gebäude mit Kronjuwelen drin ist und sich genau vor unserer Nase befindet. Doch nicht so gut aufgepasst im Englischunterricht! Ich hatte gedacht es fällt nicht auf.
Wir warten auf einen adäquaten Passanten, der fähig ist ein Foto von uns UND der Tower Bridge zu machen, quälen uns durch das Getümmel der Brücke und flüchten dann auf eine der Seitenstraßen um den eigenartigen Rauchwolken einer Demo zu entkommen. Zu guter Letzt verbringen wir noch eine Stunde im Bahnhof, weil wir bei der Abfahrt nicht darauf geachtet haben, wie unsere Bahnstation heißt. Zwei Officer schicken uns falsch, wir sitzen wieder im falschen Zug, doch schnell springen wir noch raus und ein Zuggast nennt uns durch die Tür den richtigen Weg. Gemeinsam teilen wir uns feierlich auf dem Bahngleis eine Flasche Kakao, denn wie Matthias so schön sagt: wir finden nicht nur als Reisefamilie gut zusammen, wir sind mittlerweile ein richtiges Team. Sensible erste Reisetage hin oder her.
Was sind wir froh am nächsten Tag aus dem Moloch von London rauszukommen. Doch selbst das dauert den halben Tag, um ganz London ist Stau. Leider darf man in England nicht wildcampen, so dass wir uns brav mal wieder einen Campingplatz raussuchen, der leider unsere Preisvorstellung sprengt, aber uns mit unterhaltsamer Rezeption in einem großen alten Herrenhaus belohnt. Majas Augen strahlen als sie im Korb mit Hühnereiern ein Riesenei entdeckt und es sogar geschenkt bekommt. Es entsteht noch eine hitzige Diskussion im Laden, wie lange man es zum weichen Frühstücksei kocht und den Rest des Abends hütet Maja ihr Ei im Pulli, dass es ja nicht zerbricht, damit sie das Gänseei morgen früh zum Frühstück essen kann. Jetzt verstehen meine Kinder so langsam, dass sich auch lange Fahrten und anstrengende Tage lohnen, denn am Ende wartet immer ein kleines Stück Magie auf einen.
Es stürmt, regnet, stürmt, regnet und wir versuchen den Toyo aufzubauen. Den englischen Kindern macht dies gar nichts, sie spielen in kurzen Klamotten bis 23h Fußball und auch unsere Mädels sind klatschnass als sie vom Kletterbaum (wieder ein Stück Magie) wiederkommen. Morgens scheint dann wieder fröhlich die Sonne. If you are british, talk about the weather. So langsam verstehen wir auch warum. Es gibt nämlich jede Menge davon, vom Wetter. Und das Meiste hat was mit Regen zu tun.
Wir fahren einiges an Kilometern, denn diesmal haben wir vorausgeplant. Schließlich steht das Jahresevent bevor: zwei Mäusegeburtstage inninnerhalb von zwei Tagen. Newcastle ist unser Ziel und auf einer Bauernhofcampingwiese zwischen Getreidefeldern schlagen wir unser Lager auf. Susannas Geburtstag verbringen wir dann in einem süßen Zoo, wo sie voll begeistert die Papageien füttern durften. An Majas Geburtstag stürmt es dann mal wieder, so dass wir die Kerzen im Toyo anzünden müssen, in der Sonne frühstücken und daraufhin vorm schlechten Wetter ins Schwimmbad flüchten. Wasserspielplatz, 6 Rutschen, Wellenbad, keinem Platz zum Ausruhen oder Handtuch ablegen und voller sinnbefreiter Regeln wie nicht tauchen oder nicht schreien. Die zwanzig Lifguards kommen aus dem Pfeifen nicht mehr raus, es ist so laut, dass man sich kaum verständigen kann. Susanna ist genau die benötigten 1,20m groß, bekommt aber kein Armband um die Rutschen alleine zu rutschen, und hält sich ganz englisch like an die Regeln, ist aber dann stolz am Kichern als ich sie zum Schluß nach vorneschiebe und wir heimlich die Regeln brechen. Für die Geburtstagsmäuse ist es einer der besten Tage! Vom Rutschen bekommen wir Großen auch nicht genug, dennoch sind wir froh endlich zum Platz zurückzukommen mit Sonne, Sturm und die berühmten einma-und-nie-wieder Fish and Chips. Und einem völlig erkälteten Matthias…
Der nächste Tag soll uns endlich nach Schottland bringen. Schnell noch alles eingepackt innerhalb nur vier Stunden. Denn Henry hat die Trage entdeckt und möchte bitte nur noch von Mama in der Trage getragen werden. Wir lesen von der Hadrians Wall, die genau hier um die Ecke beginnt. Die römische Mauer, die damals die Grenze von England und Schottland war. Es ist zum ersten Mal das Gefühl wirklich woanders zu sein, denn endlich kommen wir von den Autobahnen weg und sehen eine wunderschöne Landschaft voller Hügel, Wiesen und Schafen. Vor lauter Mauern, die die Wiesen durchziehen, kann man DIE Mauer(reste) kaum entdecken. Wir folgen einem heißen Tipp, fahren bis zum Parkplatz von Steel Rig und machen eine tolle kleine Wanderung bei heißem Sonnenschein an Felswänden und Mauerresten vorbei.
Klar haben auch unsere Kinder keine Lust auf Wanderungen und es fällt uns immer schwerer geduldig zu bleiben, da die Zwei sich zurzeit sehr viel streiten und schlecht gelaunt sind. Matthias ist weiterhin erkältet und wir steuern unseren ersten schottischen Freecampingplatz an der Südküste an. Der kleine Parkplatz unter Bäumen ist schon mit ein paar Wohnmobilen voll, es ist heiß, wir stellen uns noch dazu, die Kinder zanken, provozieren, Henry möchte getragen werden, die erste schottische Bremse zersticht meinen Hals… uff! Nur noch ins Betti. Um 20h. Es ist taghell. Matthias dreht noch ein Ründchen mit dem unglücklichen Henry und kommt mit einem Schweizer Pärchen im Ducato ins Gespräch. Susanna und Maja gesellen sich dazu und nur kurze Zeit später rettet das Pärchen den Weltfrieden und unseren Abend. Der Mann bringt den Beiden das Boule spielen bei und sie gewinnen gegen ihn als Team nach 1,5 Stunden spielen. Susanna ist ganz stolz, dass sie jetzt einen erwachsenen Freund haben von 66 Jahren.
So liege ich nun hier im Toyo-Dach und schreibe bis spät in die Nacht. Eben noch heißer Sonnenschein brummelt jetzt ein Gewitter über uns. Matthias Optimismus tippt zwar auf das nahegelegene Atomkraftwerk, doch es bleibt bei Donner und Blitzen. Der Regen durchweicht zwar wieder die Dachzeltseiten und ich kuschel Susanna noch enger an mich heran, doch um uns herum rauschen die Bäume, flattern Fledermäuse und quietscht und tönt es ein bisschen wie im Urwald. Schottland gefällt mir. Bei euch soll’s 40 Grad werden? Ich würd nicht tauschen wollen! Trotz der Wäsche, die nicht trocknen will. Uns erwarten 17 stürmische Grad und das wilde Meer!
Hallo liebe Reisende,
nachdem ich und das Wetter etwas abgekühlt sind, muss ich euch auch mal schreiben. Der Bericht hört sich sehr aktionsreich an, wo bleibt denn da die im Orient erworbene Gelassenheit? Doch wahrscheinlicher ist, dass bei 3 Pänz, 2 Geburtstagen und nur 6 Wochen die Zeit zum Schreiben knapp ist und möglichst viele Informationen für die Daheimgebliebenen in einem Blog untergebracht werden müssen. Ich bin mir sicher inzwischen ist es ruhiger. Jedenfalls hatte ich beim Lesen viel Spaß und freue mich schon auf die Fortsetzung vielleicht auch im Kinderblog. Ich wünsche euch weiterhin eine tolle Reise mit vielen schönen Erlebnissen und möglichst wenig Mücken.AllesLiebe 1000 Bussis, Oma Moni und Sally
Viel Spass! Hoert sich sehr schoen an! Ich hoffe, die Black Flies (Midges/Muecken) sind nicht so schlimm. Das einzige das hilft, ist Deet. Alles andere sind Mythen 🙂
Hi Herbert, wir sind jetzt Midge-Profis. 1. Stufe= Ignorieren; 2. Stufe= vorm Gesicht wild herum wedeln oder pusten; 3. Stufe= Smidge-Spray tatsächlich ohne Deet; 4.Stufe= Kopfnetze; 5.Stufe= Flucht!!!
Hallo aus Köln,
Eine tolle Reise, super Bericht. Bitte mehr Fotos !!
Hallo zusammen,
wir bereiten uns gerade auf unsere Reise vor. Im Seydisfjördur, unserem Ankunfthafen hat es 10 Grad und Regen. Insofern sprühen wir gerade unsere Imprägnierflasche auf die Klamotten und beladen das Auto mit Wintersachen….
„If the arctic is fully booked, why don’t try scotland, island ….“
Weiterhin gute Reise und unvergessliche Momente
Viele Grüße auch von Karl
Hi ihr Lieben, sind so gespannt auf eure Erzählungen. Befürchte fast die Sommerurlaubsforos fallen sehr ähnlich aus bei uns: dicke Mütze statt Bikini, frische rote Bäckchen statt Sommerbräune und jede Menge Berge, Meer, Natur 🙂
Oh wow! Wir stehen gerade bei ca 22 Grad am Atlantik! Dafür müssen wir uns langsam auf die Midges, die schottischen Mücken vorbereiten. Selbst die Schotten erzählen uns Horrorgeschichten. Frohes Schwitzen!
Ja, typisch British….nur keine Regeln brechen. Ich glaube, Ihr habt trotzdem Spass. Geniesst nur da kuehle Wetter, im moment wuerde ich tauschen. Bleibt cool und noch viel Spass und gute Erholung!
Oma Gitte
Hui, das ist ja alles spannend bei euch. Das Thermometer meines Autos hat gestern auf der Autobahn 41° angezeigt. Somit heißt es bei uns möglichst spät Gassi gehen und ansonsten nicht viel bewegen 😉 LG Dany
Oh wow! Wir stehen gerade bei ca 22 Grad am Atlantik! Dafür müssen wir uns langsam auf die Midges, die schottischen Mücken vorbereiten. Selbst die Schotten erzählen uns Horrorgeschichten. Frohes Schwitzen!