23) Abschiedstage an der Küste

Ich beginne diesen Artikel und habe spanische Steinchen unter den Füßen. Steinchen die Susanna am geschmack bestimmt schon wieder erkannt hat und Maja, kaum fünf Minuten aus dem Bus, sich dran erinnert, dass sie hier vor sechs Wochen ihr Bobby-Car gewaschen hat und natürlich sofort ihr Eimerchen, Wasser und Zewa anordert um endlich mal den afrikanischen Staub und Sahara-Sand von ihrem Auto zu waschen. Der neue Fußball muss auch dran glauben, während ich total fasziniert bin von ihrem Erinnerungsvermögen, denn sie weiß, hier gehts auch ans Meer!

Wobei, das ging es die letzten paar Tage täglich. Auch wenn uns die marrokanische Atlantikküste nicht so mitreißt, finden wir unsere kleine Oasen zwischen grauer Steinküste, tausend Baumaßnahmen für den kommenden Tourismus an den unromantischen Geröllküsten und Feld-und Wiesen-Marrokko. Nach Casablanca tat der erste einfache Campingplatz bei Mohammedia richtig gut, was mit Sicherheit nicht an den Klos und Duschen lag. Und auch nicht an dem nächtlichen Schwarm Mücken, den wir zu spät entdecken, Matthias über 35 Mücken im Bus erschlägt und die arme Susanna seitdem ausschaut wie ein Streuselkuchen mit knapp 30 Stichen im Gesicht. Aber scheint sie nicht im Geringsten zu stören. Am kommenden Morgen machen wir Mädels uns wieder auf einem von Maja vehement eingeforderten Spaziergang, entdecken das Meer und können wegen Geröll, Scherben und Müll den Strand nicht betreten. Zum ersten Mal erlebe ich, dass einen Frau, die sich gerade auf Susanna stürzen will von ihrem Mann zurückgebellt wird. Sie darf nicht zu mir und muss sich sofort wieder hinsetzen. Ich erlebe so viel hier, manchmal reichen nur diese kleinen Situationen aus um meinen Denkaparat auf Touren zu bringen. So sehr die Menschen hier uns voller Freude und Offenheit begegnen, so gibt es auch die Menschen, bei denen wir uns doch arg wie Fremde oder gar Aussätzige fühlen (siehe auch die Schnösel-Hotels in Casa-not-so-blanca). Auch gibt es starke Widersprüche in mir, zwischen der Faszinierung für den Islam und seine Natuverbundenheit, Tradition sowie familiären Werte und der Stellung der Frau. So stießen wir in Azrou auch auf den Campingbesitzer, der dem Matthias sein Leid klagte, dass durch den neuen König Marroko zum Bordell wird, da nun immer mehr Frauen kein Kopftuch mehr tragen wollen. Auch Widersprüche zu deren Beziehung zu Kindern. Sie vergöttern ihre Kinder, aber schlagen sie auch schon bei Kleinigkeiten auf Hände, Popo oder Ohren. Tiere… noch schlimmer. Ich versuche nicht zu viel zu werten und wie der typische, deutsche Besserwisser dazustehen, sondern zu beobachten und nachzudenken. Jetzt hier in Spanien, denke ich immer nur, wie privilegiert wir doch sind, so leben zu können. Dennoch wirken in der Gesamtheit die Menschen in Marokko so viel glücklicher und entspannter als die Europäer, vor allem als die Deutschen, die in einem so reichen Land leben dürfen.

Keine Sorge, die meiste Zeit bin ich nicht am Grübeln, aber Matthias und ich kommen immer wieder in diese Gedankenrichtungen. Die meiste Zeit verbringen wir mit unseren Kindern und entdecken die Welt mit ihren Augen. Von Moskito-Mohammedia geht’s vorbei an Rabat und Salé, was wir gerne gesehen hätten aber irgendwie nicht mehr können, unser Erfahrungsschatz ist prall gefüllt. Lieber fahren wir nach Moulay Bousselham und campieren diekt an der Lagune, von der wir zwar nicht die Flamingos sehen können, dafür aber von einer Horde Hühner, Küken, zwei Hähnen, drei Katzen, ein Katzenbaby und eine Mini-Herde Schafe begrüßt werden. Für unsere zwei Mädels also das Paradies. Sogar Susanna zupft sich Brotkrümel ab und streckt sie den Küken hin, die dann aus ihrer Hand essen. Loslassen kennt Susanna noch nicht, also verschwindet der Krümel in ihrem Mund. Ja, hier härten die Kinder ab auch wenn wir das nicht immer so im Plan haben. Kaum lässt man sie ein paar Sekunden aus den Augen schon findet vor allem Susanna interessante Spiel- und Matschmöglichkeiten. Marmeladenglas aufschrauben und mit der hier flüssigen Marmelade matschen. Ist ja noch lustig. Für die, die es lesen. Weniger lustig, war der Katzen-Puh. Mit duschen und saubermachen kommen wir teilweise nicht mehr hinterher. Das schöne hier in Spanien ist, dass hier sogar der Dreck sauber ist. Tatsächlich! Maja habe ich geduscht und eine halbe Stunde später sidn die Füße immer noch einigermaßen sauber, obwohl sie nur noch barfuß laufen will.

In Moulay Bousselham bleiben wir spontan eine weitere Nacht, damit wir uns intensiver mit dem Federvieh, dass wir irgendwann fluchend von Stühlen und Decken wegscheuchen, und Wäsche waschen beschäftigen können. Wir nennen den Ort heimlich um in „Moi a bousserl ham“. Kaum am Strand die Kinder aus den Tragen gepackt, sind se auch schon wieder weg. Entführt auf die uns schon bekannte, marokkanische Art: eine Frau stürzt sich mit fröhlichen Rufen an uns vorbei, wir bekommen noch ein „Bonjour“ zugenickt, die Kinder werden mit tausend Bussis begrüßt. Irgendwann schnappt sich die Frau die Susanna und wird zur naheliegenden Familie geschleppt, von allen wieder abgebusselt und 1001 Fotos gemacht. Irgednwann hole ich mir meine Tochter wieder, sie sitzt keien fünf Minuten, da kommen zwei kleine Mädels und busseln sie ab, fragen ob sie sie mitnehmen dürfen und schon schleppt der kleine laufende Meter die Susanna zu ihrer Mama mit Großfamilie. Da Susanna aber endlich mal in Ruhe im Sand spielen will, ersuche ich weitere Entführungsversuche abzuwehren. Erst als wir gehen wollen, schnappt sich die ältere Schwester der zwei kleinen Mädchen erst die Maja dann auch noch die Susanna. Die machen das gottseidank immer auf eine so liebe Weise, dass unsere zwei Mädeln eher erstaunt und fasziniert sind, sobald ich sehe, dass die Zwei nicht mehr möchten werden sie auch schon wieder zurückgebracht. Nach einem Abendessen mit Sonnenuntergang wühlen wir uns noch durch die jetzt wachwerdenden Marokkaner. Als Matthias schnell noch Brot kauft, stehen Susanna und ich mitten im Getümmel und mir fällt auf, dass es mit gar nicht mehr auffällt. Als mir das aufällt, fällt mir auch noch auf, dass wir kaum noch auffalen (außer, dass dem Matthias hier von Blicken verfolgt wird, weil er als Mann ein Kind in ner Trage trägt), dass ich dieses Gewusel und arabische Gebrabbel und Gerufe um mich herum genieße, es mich amüsiert, ich mich nicht sattsehen kann und es mir nicht mehr fremd vorkommt. Man könnte fast sagen: Integration gelungen.

Der nächste Tag bringt uns nach Tanger zum Hafen, wo wir professionell an den Schleppern vorbeifahren und die Tickets preiswert direkt am Hafenschalter kaufen. Schnell noch einmal mit Maja pitschnass in die Wellen laufen, ein paar ältere Kinder (Jungs wie Mädels) müssen den zwei Mäusen nochmal jeder ein Bussi geben, Maja darf ihre erste eigene Pizza Margerita essen, und sieht auch dementsprechend aus, Susanna trinkt uns derweil den frischen Orangensaftmit Strohhalm weg. Nach einigen Versuchen mit dem GPS den nächsten Campinplatz zu finden, preschen wir eine 45° Piste aufwärts hoch und landen tatsächlich bei dem rudimentären Platz, um das letzte afrikanische Abendessen (Pizza, Pommes und Panini – wir haben die Tajines ein wenig über) einzunehmen. Nebenbei können wir ein Blick auf das Deutschlandspiel werfen. Ich muss schmunzeln, hier ist man natürlich für Ghana und auch ich gönne den Afrikanern das 2:2. Sollen sie sich ruhig den Titel holen.

Bis zum letzten Zentimeter verfolgen uns afrikanische Erlebnisse auf diesem Kontinent! Um 13 Uhr wollen wir die Fähre nehmen. Unser Campinplatz befindet sich nur einen Katzensprung vom Hafen entfernt, und nach der hoffentlich vorerst letzten heruntergekommenen Dusche und Klo stehen wir auch schon in der Schlange zur Passkontrolle. Geht für afrikanische Verhältnisse blitzschnell. Ein inoffizieller Helfer trägt unsere Autopapiere drei Meter weiter zu dem Beamten neben uns und bekommt natürlich für diese höchstkomplizierte Aktion ein Trinkgeld. Wir stellen uns in die nächste Schlange zum Fahrzeug-Röntgen an. Dazu stellen sich 10 Autos auf eine Rampe und ein Mega-Strahlenapparat fährt über die Autos hinweg. Dazu steigen wir natürlich aus und verstecken uns möglichst weit um die Ecke. Wir beeilen uns die Kinder wieder einzupacken und fahren los. Ein Beamter winkt uns durch zur nächsten Schlange doch plötzlich springt von hinten ein Anderer auf und kommandiert uns sofort stehen zu bleiben. Ein weitere höchst offiziel,bewaffneter beamter baut sich neben uns auf und zu Zweit stehen sie nun da und wollen erstmal nur die Papiere. Oh Gott, haben wir irgendwas geladen, was wir nicht durften? Pfefferspray? Saharasand? Brotmesser? Wir werden bemustert und gefragt, ob wir das erste Mal in Marokko wären. Und warum? Und wo? Ah, ja… Keine Ahnung, was die gesehen haben, aber wir dürfen weiter, puh eh! Drei Autoschlangen werden so organisiert, bis genau vor uns plötzlich die Schranke zugeht. Dabei hat Matthias noch so sehr gehofft als letztes Fahrzeug noch auf die Fähre zu kommen, da wir ja nach längerem Stehenbleiben immer hinten an den Motorraum müssen um den Bus vorzuglühen und bei dem abenteuerlichen Zugeparke in der Fähre kommen wir da niemals dran. Die Schranke geht noch einmal auf, und wir dürfen noch rein als Letztes. Was wir dabei nicht bedenken, dass wir uns dann auch beeilen müssen um aus dem Frachtraum zu kommen. Wir packen also Kind und Kegel aus, Matthias quetscht sich hinten zwischen Bus und Auto durch mit Susanna im Maxi Cosi hoch über seinem Kopf da geht mit einem Mal irrelaut eine Sirene los. Die Fährklappe geht hinten zu auf der Matthias steht, so schnell hab ich ihn noch nie zurückquetschen sehen, doch wo jetzt lang alles zugeparkt bis auf den letzten Milimeter. Das Fährpersonal ruft uns zurück, wir sollen wieder über die Fährklappe. Die ja gerade hochgeht. Uff, schnell schnell durchgequetscht über den Rand der sich schließenden Klappe und nochmal schnell an der anderen Seite durchgequetscht. Matthias balanciert Susanna afrika-like über seinen Kopf, ich drücke Maja an mich heran und schon sind wir durch. Die Fährfahrt dauert nur eine halbe Stunde bis nach Tarifa, was bedeutet der Motor springt sofort an und nach nur 50 Kilometern kommen wir in Manilva auf dem Campingplatz an, wo wir uns direkt wieder wohlfühlen.

Unser Marokko-Abenteuer ist vorbei. Doch in uns ist es noch lange nicht vorbei. Wir fühlen uns so reich und erfüllt. Wir alle vier haben eine kleine Schatzkiste in uns, oder eine orientalische Dschinn-Lampe. Wenn wir den Schatz öffnen, dann sprudeln Farben, Gerüche, Gedanken, Bilder, Erinnerungen, Geräusche und Emotionen heraus. Und keiner kann ihn klauen.

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Die Autorin

Gestaltung und Texte entspringen meistens aus meinen wirren Gedanken. Fotos, Lektorat und Kritik fallen in Matthias‘ Bereich. Geht aber auch anders herum. Schreiben und kreatives Zeug gehören zu meiner Leidenschaft und ich freue mich, wenn ich Menschen dadurch zum Lesen, Reisen, Träumen, Nachdenken oder Schmunzeln bringe. Viel Freude also hier auf unserer Familien-Reise-Abenteuer-Seite! Eure Miri

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