We survived Casablanca! Und sind’s selbst Schuld. Denn Casablanca braucht man nicht unbedingt überleben, man kann es auch einfach nur erleben, aber wir sind um Erfahrungen reicher geworden, die ich mir beim besten Willen lieber erspart hätte.
Am Dienstag fahren wir erst nochmal in das Dörfchen Ouzoud hinein, um ein Foto von der gestrigen afrikanischen Dorf-Szenerie zu machen. Fühlt sich auch schon viel gewöhnlicher dort an. Die Fahrt geht von dort aus über Azilal an einem türkisen Stausee vorbei an dem die erste Campingmöglichkeit gelegen hätte. Aber wir sind ja gerade erst los. Durch neuseelandähnliche Schluchten über einen 1400m Pass fahren wir serpentinenmäßig steil nach unten. Die Abgründe neben uns gehen tatsächlich fast direkt 1000 Meter runter in die platte Talebene. Beni Melal, Marjane-Supermarché und weiter, denn was sollen wir denn so früh schon hier. Sind ja nur noch 200 Kilometer Autobahn nach Casablanca. Doch eigentlich sollten wir es besser wissen. 200 marokkanische Kilometer sind nicht gleich 200 europäische Kilometer. Auf der Autobahn kommen wir wegen dem Seitenwind nur langsam voran und bei der Hälfte der Strecke hört diese dann auch einfach auf, man muss sich durch irgendeinen Noname-Ort Kourighba oder so wurschteln und weiter gehts über die Landstraße. Marokkanische Landstraße bedeutet meistens: vollkommen überladene, schon sich seitwärtsneigende LKWs, lebensmüde Idioten mit knappen Überholmanövern und sich langziehende Kilometer. Die Sonne geht mit einem wunderschönen, knallorangen Riesen-Feuerball vor unserer Nase unter. Das ist hier halt schon so ab 19 Uhr und trotz Dämmerung, macht uns jedes entgegenkommende Fahrzeug darauf aufmerksam, dass wir unser Licht anhaben. Wir haben genug von dem halsbrecherischen Straßenverkehr und da wir nicht in der Dunkelheit in der großen Stadt, die als der soziale Brennpunkt Marokkos gilt, nach dem einen Campinplatz suchen wollen, beschließen wir lieber einen am Strand zu suchen. Ich sitze hinten und kann in dem Schummerlicht und bei dem Gewackel nur schlecht Karte oder Reiseführer lesen. Dennoch wollen wir es versuchen nach Dar Bouzza zu kommen. Nicht nur, dass wir uns verfahren, ich habe auch noch die Kilometer falsch eingeschätzt bzw. die Mini-Zahlen und deren Nanometer-Markierungen nicht identifizieren können, gleichzeitig soll ich ja auch noch links Banane füttern und rechts Wasser, aber richtig kaltes Wasser aus dem Kühlschrank servieren. Die Kommunikation nach vorne wird wieder durch ratternde Lüftungsgitter erschwert. Es wird immer später und stockdunkel als wir von der Autobahn 25 Kilometer südlich von Casablanca abbiegen. Die Karte führt uns mitten ins Nichts ind düstere Nichts, die Teerstraße hört auf einmal auf sowie auch die Straßenlaternen, der Weg wird eng und holprig, in den Scheinwerfern der entgegenkommenen Autos, tauchen immer wieder geisterhaft Fahrradfahrer und Fußgänger im aufgewirbelten Staub auf. Die Straße wird immer mehr zur Buckelpiste, sobald neben uns Männer und Jugendliche aus der Dunkelheit auftauchen preschen wir selbstbewusst dran vorbei mit dem einen Ziel wieder auf die im Navi angezeigten Küstenstraße zu kommen. Seitdem die Sonne untergeht sagen wir uns schon, wir nehmen das erste Hotel, auf das wir treffen und nun, nach drei Stunden, treffen wir an der Küstenstraße endlich auf das piekfeine Hotel Artisanal. Uns ist es nun wirklich egal wieviel wir für ein Zimmer blechen müssen, hauptsache der Tag hat ein Ende. Ich gehe hinein und frage nach einem Zimmer. Klar gar kein Problem, zwei Personen? Ja, und zwei Kinder, aber wir brauchen nur ein Zimmer mit Doppelbett. Er schaut weiter in seinen Computer… Oh doch alles voll! „Ach, tout á coup!?“ sage ich und könnt ihm ins Gesicht springen. Ich sage ihm, dass wir nun schon so lange fahren und einfach nur rein Zimmer brauchen. Nein, alles voll madame, aber er erklärt mir ein den Weg zu einem anderen Hotel. Ich springe wieder nach vorne, da Maja und Susanna schlafen und wir finden nach weiterem, entnervten Gekurve zum Hotel Parc. Ein Pförtner will uns aufmachen. Reservation? Non, aber wir möchten einfach nur ein Zimmer. Er scheint nicht zu verstehen macht das Tor nicht weiter auf, und Matthias hat gar keine Lust mehr weiter zu diskutieren, der Bus macht einen Satz nach hinten und weiter fahren wir durch die dunkle Nacht Richtung Casablanca in der Hoffnung, dass dort mehr Hotels zu finden sind, denn Campingplätze haben jetzt nicht mehr auf. 25 Kilometer weiter und kein Hotel. Wir kommen ins total becshäftigte Casablanca udn wissen gar nicht mehr weiter. Beide sind wir auf der einen Seite froh diese dunkle Umgebung hinter uns gebracht zu haben, wo ich auch weiß, dass dort irgendwo die Bidonvilles, die marokkanischen Slumviertel, sich ausbreiten, aber auch sind wir hilflos in dem irrsinnigen Verkehr uns nach dem ganzen Tag noch durchzuwühlen. Bei dem nächsten Taxistand schnappen wir uns einen Taxifahrer,d er uns voraus fahren soll zu dem nächsten Hotel, koste es was es wolle. Naja, die wären aber schon ziemlich teuer. Egal, einfach hin! Er führt uns über Wege, die wir nie gefunden hätten zum Hotel Suisse. Gott sei Dank! Ich gehe rein, werde mal kurz gemustert, „non, nous sommes complet“. Was? Selbst der Taxifahrer, kann’s nicht glauben und fragt nochmal nach. Keine Chance. Maja wacht auf und damit sie beruhigt ist, bleibe ich wieder hinten. Wir werden zum nächsten Hotel gekurvt. Matthias fragt nach. Ja es gibt ein Zimmer. 2 Personen? Ja, und Kinder. Nein, es gibt doch kein Zimmer. Weiter am Ocean Drive vorbei, nächstes Hotel Casablanca, der gleiche Dialog mit dem Unterschied, dass Matthias echt wütend ist und dem Schnösel an der Rezeption das deutlcih zu spüren gibt. Unser freundlicher Taxifahrer leidet mit uns. Dieses Gefühl im Bauch zwischen Hilflosigkeit, Müdigkeit und überheblicher Ablehnung ist wirklich schrecklich und auch ich bin „stinksauer“ wie Maja sagen würde. Wir müssen woanders suchen, sagt der freundliche Fahrer und führt uns weiter 15 Minuten durch ein weniger glänzendes, unsauberes Casablanca. Endlich! Das Windsor Hotel nimmt uns auf und sprengt nicht allzu schlimm unser Budget. Ich bin zunächst so erleichtert. Als ich mit den beiden Mädels auf dem Arm ankomme, springt ein Junge sofort auf, nimmt mir die Maja ab und bringt uns zu unserem Zimmer. Das Zimmer ist gräuslich, aber momentan unsere Rettung. Susanna und Maja machen dafür eine Mitternacht-Turnstunde auf den drei Betten während Matthias den Bus in eine Seitenstraße parkt und mindestens fünfmal sich und ein paar Sachen hoch und runterschleppen muss. Wenn das Zimmer gräuslich ist (nicht wirklich dreckig aber auch nicht sauber, alles irgendwie alt und kaputt) dann ist der Weg den Matthias zum Bus bewältigen muss noch zehnmal schlimmer. Die Straße wird zwar von einem lusitgen, sympatischen Parkwächter bewacht doch das hat auch seinen Grund. Obdachlose schlafen dort auf der Straße, die Bürgersteige sind dreckig, Matthias will gar nicht wissen in welche Pfützen er da mit seinen Schlappen latscht und die Bettler grüßen ihn nach dem dritten Lauf schon wie einen alten Bekannten. Oh Mann, hoffentlich ist unser Bus morgen noch da, mit Inhalt! Matthias verspricht dem Straßenwächter 100 Dirham, wenn er ein bis zwei Augen auf unseren Bus wirft. Dieser versucht noch dem Matthias zu sehr später Stunde noch Berberisch beizubringen und muß über die Ladungen von Spielzeug lachen die Matthias anstatt Koffer ins Zimmer schleppt. Schließlich postiert der Wächter sich mit seinem Hocker vor den Bus, scheucht noch einen Bettler davon aber die Tasche auf dem Gepäckträger muß nach innen, meint der Wächter, sonst ist die weg und wir beten, dass diese Nacht so schnell wie möglich vorbeigeht. A
Sie tut es, wenn auch fast schlaflos. Um kurz vor Acht wird’s dann spannend, denn der Parkwächter hat Feierabend bzw. -morgen und Matthias wird seine 100 Dirham los. Alles noch da, puh. Wir beeilen uns diese Spelunke zu verlassen. Matthias warnt mich noch vor: „Achtung, wenn du da raus gehst, dann weißt du wie es in Zentralamerika ist!“ Ich öffne die Hoteltür und ein mülliger Gestank kommt mir entgegen, der von dem ganzen Unrat um uns herum ausdünstet. Die laute Straße bläst uns Auspuffgase und Lärm entgegen, ich vergleiche meine dünnen Sandalensohlen mit der Tiefe der ekligen Pfützen und mache einfach die Augen zu und… nein niemals durch! Irgendwie drüber und drumherum. Wir passieren die Bettler-Riege, die von Matthias wie alle Bettler hier ein paar Dirham bekommen, beim Bus angekommen fühle ich mich erleichtert, dreckig und voller Gedanken und Mitgefühl.
Ein Gedanke geht mir immer wieder durch den Kopf und verfolgt mich auch die nächsten paa r Tage noch. Dort wo es so düster, dreckig und ärmlich ist, die Menschen wenig haben oder verdienen, dort trifft man auf die freundlichsten, menschlichsten, fröhlichsten Menschen. Dort wo das Geld die Welt regiert, die mit den größten und neuesten Hotels und Karren, diese Menschen mutieren zu herzlosen, überheblichen, dreisten Rasern und Schnöseln. Der marrokansiche König setzt sich viel für die Armen des Landes ein und steckt aber auch viele Millionen in den Tourismus. An sich ja keine schlechte Idee, aber ich bin mir nicht sicher, ob Tourismus wirklich die Lösung für ein Land ist, das so viel Wert legt auf Tradition, Werte, Religion und Handarbeit. Was ich sehe und erfahre ist, dass der vom Abendland noch unberührte Teil Marokkos einen Zauber versprüht. Man fühlt sich als Fremder immer willkommen, solange man respektvoll, offen und humorvoll auf die Menschen zugeht. Das ist auch gar nicht schwer, denn die kommen, neugierig wie sie sind, schon von alleine. Doch wo der übertriebene Konsum die Menschen auch von innen heraus zu verändern scheint, dort treffen wir auf einmal auf Mauern zwischen uns und Marokko. Ummauerte Campinplätze, ummauerte Slums, Mauern in den Blicken und Mauern in Begegnungen. Mit Worten ist das schwer rüberzubringen und ich möchte nicht in der Situation desjenigen stecken, der ein Land regiert. Doch wie man auch am Beispiel Brasilien sieht, dessen Armut und Slumviertel ich ebenfalls mit eigenen Augen gesehen habe, ist der Plan den Tourismus oder die WM ins Land zu holen, ein trauriger oder gar tödlicher Plan für manches Straßenkind. Ich stecke fest in diesen Grübeleien über die Ungerechtigkeit dieser Welt. Wir fahren seit Casablanca an vielen Bidonvilles vorbei, die Slumviertel aus Planen, Holz, Wellblech, Schutt und Plastik. Es ist etwas anderes, wenn man es nur auf Fotos oder im Fernsehen sieht. Wir sehen nicht nur, wir riechen auch den Müll- und Fäkaliengestank, wir sehen und riechen wie der Müll direkt neben den Hütten verbrannt wird, wir hören dabei die fröhlichen Kinder, die zwischen Schutt und Mauern spielen, wir sehen wie direkt neben den Hütten ein riesiges, schickes BMW-Autohaus steht oder eine Hotel-Villa. Selbst beim Schreiben dieses Textes werd ich traurig und wütend. Ich weiß nicht auf wen oder was. Aber auch auf mich und die gesamte Menschheit. Ich komme aber ein bisschen dahinter, was das Reisen in anderen Ländern und Kulturen in mir verändert. Ganz schön viel, so viele Gedanken in mir, die ich gar nicht hier aufschreiben kann und möchte. Aber eines weiß ich. Übermäßiger Konsum zerstört. Zerstört Werte, Prioritäten, Träume, Mitgefühl, Menschlichkeit udn vieles mehr. Olaf, den wir in Marrakesch getroffen haben, sagte mal, er hasse Konsum. Und ich sagte direkt, nein, ich mag Konsum. So viele Konsumgüter wie auf dieser Reise haben wir noch nie gekauft und hinter jedem einzelnen Stück, steckt ein Mensch und eine Geschichte. Ich mag auch neue Klamotten kaufen, aber es bleibt ein Bedarfgegenstand, wenn auch liebevoll ausgesucht und nicht die Erfüllung meiner Träume und nicht der Schlüssel zum Glücklichsein. Genug mit den Grübeleien! Ganz schön schwer da selber Licht in meinen Gedankendschungel zu bringen. Machen wir doch einfach weiter mit Erlebnissen, die Matthias und mich innerlich wieder „nach hause“ bringen. Die uns erleichtern und befreien.
Aus einem einzigen Grund haben wir die Strapazen auf uns genommen nach Casablanca zu fahren. Die Moschee Hassan II. Sie ist nach der in Mekka die zweitgrößte Moschee der Welt und die Einzige, die man als „Ungläubiger“ betreten darf. Vom Hotel aus verfahren wir uns ein wenig udn wir müssen durch noch ärmere, völlig überfüllte Viertel durch, die voller Leben und Treiben sind. Plötzlich zwischen den grauen Mauern sehen wir blitzeblank das riesighohe Minarett der Moschee und direkt hinter den letzten Häusern des Viertels befindet sich auch schon der bewachte Parkplatz. Die saubere, sandfarbene Moschee mit ihren grün-blauen Ornamenten wurde halb auf Felsen und halb ins Meer gebaut nach dem Koran-Vers: Gottes Trohn war auf dem Wasser. Der weiße, helle Platz davor ist fast menschenleer und die Atmosphäre begrüßt uns mit frischer Luft, sowie endlich mal bewölkten Himmel. Wir staunen und sind voller Vorfreude auf das Innere dieses Palastes. Betreten kann man die Moschee nur mit einer Führung. Es sind wirklich wenig Menschen da und so haben ist nur unser kleines deutsches Trüppchen unterwegs sowie eine englische Gruppe. Und das in diesem riesigen Gebetssaal, mit einer Fläche von 20.000m², das zusammen mit den erhöhten Balkonen für Frauen 25.000 Gläubige beherbergen kann. Die zweitgrößte Moschee der Welt wird zu Majas Lieblingsturnhalle. Eeeendlich darf sie die Schuhe ausziehen! Der Saal ist mit Teppich ausgelegt und so stürmt sie ihre neue Turnhalle, rennt ihren persönlichen Marathon und unterhält uns alle mit ein paar Turnübungen zwischen den Runs. Ich habe ihr gesagt, dass sie aber leise sein muss, da wir sonst den Muezzin nicht finden, den möchte sie nämlich schon seit Wochen besuchen, und so hält sie immer wieder inne und fragt sich „Da? Ist da der Muezzin?“. Susanna ist in meiner Trage eingeschlafen und so haben wir viel Freiraum mal selber eine Attraktion in ihrere Vielfalt und Größe auf uns einwirken zu lassen. Zwar bekommen wir von dem Führer nichts mit, da wir immer erst Maja einfangen müssen und sie herlotsen, aber das macht uns und der Hälfte der Anwesenden nichts, die lieber der Maja zuschauen als dem Reiseführer zuhören. Es gäbe so viel zu erzählen über diese Moschee. Was mich sehr gefällt ist der Gedanke, dass sie frei von jeglichen Statuen und Bildern ist. Nur Mosaike, Muster und Ornamente findet man hier, damit die Gedanken nicht ablenken vom Gebet. In der Mitte des Saales kann Wasser durch einen kleinen Kanal fließen. Das meditative Geräusch soll die Betenden beruhigen. Der Boden des Kanals ist aus Glas, so dass man die untere Etage sehen kann, wo sich viele Leuchter und Brunnen befinden an denen die Menschen ihre rituellen Waschungen abhalten. Der Leiter zeigt uns den Ablauf der Waschung und es schaut aus wie eine zärtliche Choreografie. Das mächtige Dach weit über unseren Köpfen lässt sich bei gutem Wetter öffnen, so dass die Sonne hereinstrahlen kann. Alles ist deswegen so gebaut, so dass sich die Elemente Wasser, Erde und Luft miteinander verbinden können. Maja muss die Schuhe wieder anziehen und wir müssen sie mit Überzeugungsarbeit durch das mit 200 Metern höchste Minarett der Welt („Hier wohnt der Muezzin, Maja“ seitdem denkt sie der Reiselaietr ist der Muezzin), Brunnensaal und Hammam ziehen. Für uns bleibt dieser Moscheebesuch auch dank Maja eine einzigartige Erinnerung, die Casablanca wieder in ein anderes Licht rückt, zumindest ein bisschen.
Am Nachmittag fallen wir auf den nächsten Campinplatz bei Mohammedia ein und haben uns noch nie so zuhause gefühlt im Bus wie nach dem gestrigen Abend. Zwar krabbelt eine schwarz-weiße Spinne uns aus der Kabeltüte (bestimmt war sie von Camping Zebra), bei der wir uns nicht einig sind, ob sie zu den Vogelspinnen oder Taranteln gehört, doch wir haben wieder zu uns gefunden. Maja zu ihrem Bobby-Car und Susanna zu ihren Steinchen am Boden.