Matthias und ich sitzen gerade in unseren zwei Nischen am Fußende unserer 1,55m Familien-Koje und unterhalten uns immer wieder über die vergangenen Vormittagsstunden. Ich hab nicht die geringste Ahnung, womit ich diesmal anfangen soll zu erzählen, da gestern schon 1001 Eindrücke auf uns niederprasselten und wir heute ein irsinniges Medina-Abenteuer hinter uns haben.
Es ist jetzt 22h30 und wir genießen die abgekühlten Temperaturen von 23°. Unser Wasserkonsum hat sich auf ein Vierfaches gesteigert und selbst Susanna trinkt mittlerweile vergnügt am Strohhalm-Becher. Unglaublich! Da fährt man in Spanien auf ein Schiff,verbringt eine einstündige Fahrt über etwa 20 km Meeresenge, die ich hauptsächlich Windel wechselnd auf dem Nichts-Anfassen!-Klo verbrachte, da bei den zwei Mäusen die Aufregung wohl in die Hose ging, und als ich mit Maja auf dem Arm endlich die trostlosen Räumlichkeiten verlasse, fahren wir an Hügeln vorbei und kurz denke ich: Aha! Immer noch Spanien. Nein, es ist schon der Hafen von Tanger méditerranée, wir sind schon da. Jetzt kommt dann doch nochmal der Kloß im Hals nachdem ich heut morgen auf der Fahrt nach Algeciras überlegte, wie ich den Matthias davon überzeugen kann, dass eine eine entspannte Urlaubsreise über Portugals Küsten nicht doch besser ist. Dieser Kloß wurde dann die nächsten Stunden auch immer unschluckbarer. Die nächsten zwei Stunden nach der Fähre waren wir damit beschäftigt in der gleißenden Sonne im Bus zu warten. An der Zollgrenze für noch nicht registrierte Autos standen mehrere Autoschlangen. Man wartete, fuhr 2 Meter weiter, wartete, wimmelte ein paar Geschäftemacher ab, fuhr wieder 2 Meter weiter, kam endlich am Polizeiposten an, dort wurde man in eine anderen Autoschlange einsortiert und weiter ging das Wartespiel. Um uns herum war Leben und wir staunten nicht schlecht, wieviel ein normales Auto an Frachtgut aushält, obwohl jedes zweite Gefährt eigentlich deutlich einen Achsbruch erleiden müsste. In den Autos saßen Marrokaner, die anscheinend in Europa leben und Waren in ihr Land eingekauft haben. Waren die mit Tüten, Kartons, Decken, Taschen und drumherum noch Folien und Planen ins Auto gestopft wurden und weitere Sachen die ebenfalls in Decken, Folien und Planen noch zusätzlich auf’s Dach des schon viel zu tiefliegende Auto gestapelt wurden. Meterhoch. Da wussten wir, wir sind in Afrika. So war das Warten nicht so langweilig, ganz im Gegenteil, je länger es dauerte desto höher ging der Puls. Irgendwann erbarmte sich jemand unserer, schaute auf unsere Papier von der Reiseagentur und sagt nur: „Aaah oui! C’est bien!“ Weiter warten. Dann standen wir in der Pool-Position, neben uns wuselten die Zollbeamten hin und her und wir versuchten das System zu durchschauen: ein Zollbeamte kümmerte sich um etwa zehn Autos, die seitlich in Parklücken im Schatten parken durften, von diesen Parkstraßen gab es etwa fünf nebeneinander, machen schonmal fünfzig Autos, die gleichzeitig warten. Jeder Zollbeamte rannte aber überall rum, während sie permanent diese C‘est-bien-Zettel stapelweise einkassierten ab und zu den Hut abnahmen um eine weiteren Stapel mal rauszunehmen und wieder reinzulegen (ja, in den Hut), Hut wieder auf und weiter geht’s. Es gab dann noch die Pechvogel-Variante zu denen man absolut nicht gehören will. Jeder Zollbeamte schaut sich jedes Auto mit den millionen Waren genauer an, was bedeutet: Tür auf, Zeug purzelt schon von alleine raus oder Folien aufreißen und mit den Fingern in der Tiefe rum pulen. Dann entscheidet der Beamte irgendwann, ob man weiterfahren darf oder aber als Super-Pechvogel sich wieder in die heiße Sonne auf den nächsten Parkplatz stellen darf, wo 25 Autos warten und ein Zollbeamter das gesamte Auto inspiziert, wozu alle Sachen einmal rausmüssen auch aus den Kartons und Verpackungen. In unserem Fall hatten wir Glück irgendwann kam der Zuständige dochmal zu uns schickte den Matthias wieder ganz zurück zu der ersten Polizeistation, wo er doch noch was herzeigen musste, dann wieder im Bus warten, irgendwann nochmal Dokumente herzeigen und dann rätseln ob wir jetzt fahren durften oder nicht, nochmal nachfragen, ja tatsächlich wir dürfen, puuh. Und die zwei Mädels haben ganz friedlich alles schön verschlafen.
Endlich können wir unsere ersten Kilometer in Afrika hinter uns lassen, beeindruckende, windige, heiße Kilometer bergauf und bergab bis nach Martil an der Mittelmeerküste kurz vor Tétouan. Nach dem Stillen unseres Heißhungers und ein Powernap während die Kinder um uns auf der Matratze herumturnen, starten wir unsere erste Erkundung der Strandpromenade. Es ist abend und die menschenleeren Strassen sind auf einmal voller Leben. Wir sind die einzigen Europäer und Maja mit ihrem Bobby-Car immer schön quer durch die Menge. Durch die Menge an schönen Frauen mit Kopftüchern und modischen Röcken und Tüchern, an lachenden, fröhlichen Menschen, an bärtigen Männern in Umhang mit Kapuze, an jungen Männern und kichernden Frauen ohne Kopftuch, an spielenden Kindern, Mamas mit Kinderwagen und eisschleckenden, buntbetuchten Menschen. Und alle drehen sich irgendwann mal nach der um ihre Füße kurvenden Maja um und zerzausen ihr lachend das Haar oder schäkern mit der grinsenden Susanna auf meinem Rücken. Die gute Laune ist ansteckend, wir genießen den ersten marokkanischen Pfefferminztee und nehmen uns einen Tajine-Hackbällchen-Imbiss mit „nach hause“.
Und dann kam uns am nächsten Morgen (Sonntag) die Idee mal kurz nach Tétouan reinzuschauen. Erst nach dem Abenteuer lesen wir, dass gerade in Tétouan sogenannte „faux guides“ also falsche Führer sich auf Touristen stürzen oder lästige Moped-Guides, die jedoch absolut unter Gefängnisstrafe (also für die Guides!) verboten sind…
Wir fahren den Schildern nach, denn unser Navi funktioniert dann doch nicht mit der runtergeladenen Karte, zum Centre Ville, wissen gar nicht so wirklich wohin und nehmen uns vor den jungen Verkäufer an der Ampel zu fragen. Schwupps, steht da aus dem nichts heraus ein Mopedfahrer neben uns! Quatscht usn auf deutsch an, und ja klar weiß er den Weg zum Parkplatz.Er führt usn hin wir sollen ihm folgen und nach einem skeptischen Moment, in einer kleinen Seitengasse, wo uns Menschen mit Schubkarrenähnlichen Transportgefährten entgegenkommen udn kaum ncoh Platz für uns, stehen wir tatsächlich vor einem riesigen bewachten Parkplatz. Der Typ kommt auf einmal wieder ohne Motorrad dafür will er uns jetzt die Stadt zeigen, bekommt von uns ein kleines Trinkgeld als Dank, versucht noch dafür 5 Euro auszuhandeln (für’s Benzin!) doch als der Parkplatzwächter vorbeimarschiert ist er plötzlich weg. Uff. Während ich die Kinder mit Sonnencreme plakatiere, versuche ich diese erste Begenung etwas zu verarbeiten udn schon zeiehn wir los. Neben dem Parkplatz kann man in die Medina (die orientalischen Altstädte) eintreten. Ach ja, im Reiseführer steht auch das Tétouan die engsten Gassen hat, doch nichts ahnend nehmen wir die Maja im Buggy mit. Wir stehen vor dem kleinen Tor der Stadtmauer udn los geht’s, einfach mal rein, denken wir uns… Auf der anderen Seite hinter den Mauern herrscht eine absolut andere Welt, ein andere Planet, den weder Fotos oder andere Medien wiedergeben können. Sofort sind wir mittendrin im Tumult. Die Gassen sind nicht nur eng, es schieben sich auch viele (nur) Einheimische dadurch. Alles ist mit Planen oder Wellblech leicht überdacht, und wir landen auch noch direkt in den Gassen der Lebensmittel-Suqs, was man zwar mit „Markt“ übersetzen könnte, dem aber nicht im Geringsten gerecht wird. Die Stände befinden sich vor den offenen Verkaufshäusern dicht an dicht, einer nach dem anderen und alles querbeet. Es umgeben uns millionen Gerüche: ein Mix aus frischen Fisch, Obst und Gewürzen. Wir wissen nicht wohin wir schauen sollen: auf die vielen Hühner in ihren engen Käfigen, den nächsten Käfig mit Küken, den zahlreichen Gewürzkörben, die Auswahl an Nüssen und Gemüse, die Auslage an Meerestieren auf Eis, gerade wird dem Riesen-(Thun?)fisch der Kopf abgehakt, auf der anderen Seite werden vier Hühner gewogen, neben mir hängen gerupfte Hühner zum Ausbluten über den Tresen, weiter im Hinterhof kann ich die dazugehörigen Häute und Innereien entdecken, ein Mann möchte mit seinem dreirädrigen, beladenen, breiten Moped durch diese Gasse, wir machen irgendwie Platz, aber er überlegt es sich erstmal mit dem Fischverkäufer neben mir zu palavern. Über allen hängt eine fremde Geräuschkulisse, denn die Menschen hier sprechen nur noch arabisch. „Sprechen“ ist auch eher untertrieben. Wir lassen uns weitertreiben, niemand scheint uns zu beachten, so können wir einfach nur beobachten und staunen. Eine Medina ist ein einzigartiges Labyrinth an kleinen und mini-Gassen und schon nach einigen Minuten wissen wir nicht mehr wo wir sind, so gehen wir einfach weiter, denn der Moped-Typ erzählte uns davon, dass wir großes Glück hätten denn heute sei Berbermarkt, und den wollen wir uns nicht entgehen lassen. Natürlich entkommen wir den „faux guides“ nicht, ein angeblicher Professor der Kunstakademie (haha) klebt uns an den Fersen und wir können ihm nicht entkommen. Und wir haben es so oft versucht, aber wir sind auch tatsächlich ein wenig orientierungslos. Dauernd beteuert er, dass er dafür kein Geld möchte. Führt uns durch die faszinierenden, engen Handwerks-Suqs und die Gerbereien, quatscht mir dauernd rein, als ich einfach nur Wasser oder etwas von dem leckeren, süßen Gebäck kaufen möchte bis Matthias ihm dann irgendwann freundlich daraufhin weist, dass ich doch selber für mich sprechen möchte. Na toll die Frau kann nur arabisch und schaut ihn hilflos an. Es geht mir alles zu schnell und nicht mehr nach unserem Tempo, die Kinder schauen zwar selber nur fasziniert hin und her, aber so langsam steigt in mir ein wenig Ärger auf, egal wie faszinierend und auch lustig das gerade alles ist. Eine Gasse kommen wir mit Maja nicht durch und gottseidank möchte sie laufen: ab jetzt unser Tempo, Herr Guide! Auf einmal landen wir in einem wunderschönen verzierten Raum, wo man Seifen und Kräuter kaufen kann. Tolle Abschleppmethode, aber nicht mit uns, mir reicht’s. Ich sag ihm, dass wir jetzt den direkten Weg zum Parkplatz bitte haben wollen, keine Umwege, kein Shopping. Er ist etwas beleidigt. Na gut, wenn’s nicht weit ist, bitte endlich den Berbermarkt! Und da ist er plötzlich, um zwei Ecken. Unser Guide kann wieder lächeln und wir sind um eine schöne Tischdecke reicher und Matthias testet sein Handlungstalent. Jetzt aber zum Parkplatz! Kaum kommen wir am prächtigen von der Polizei bewachten Palast vorbei, verabschiedet er sich von uns, natürlich geben wir ihm ein Trinkgeld, und freuen uns eigentlich über so viel ursprüngliche Erlebnisse.
Wir zerfliessen als wir am Bus ankommen, und fahren schnurstracks zwischen 30-25 und am Ende 15 km/h ins Rif-Gebirge, wo wir nach einer heißen Fahrt mit LKW-Überholmanövern (WIR haben überholt!) endlich am Campingplatz in Chefchaouen ankommen, wo wir zwei Nächte bleiben. Und jetzt kurz vor der Abgahrt Richtung Fés sind. Es sind so viele Erlebnisse und Eindrücke, auch Chefchaoen verzaubert uns und bringt uns in vielerlei Hinsicht zum Schwitzen. Davon dann beim nächsten Mal… Bei 30°, einer dreistündigen Einpackzeit und glücklich mit einer neuen Gasflasche, die unser Nachbar zufälligerweise noch übrig hatte und nun auf dem Nachhauseweg ist, sowie 1001 heiße und schattige Tipps für unser weiteres Marokko-Abenteuer machen wir uns jetzt wieder auf. Maja kann’s gar nicht abwarten, sie will immer auf die Reise gehen und Susanna schlummert nur noch im verstaubten Body bekleidet schon friedlich im Sitz.