Es ist 34° im Bus keine Wolke am Himmel, die Sonne brennt mir Härchen und Sonnenmilch auf meinem Arm weg, aus unserem Wasser könnte man Tee machen und die Landschaft trocknet in gelb braun vor sich hin. Vor ein paar Tagen noch hab ich mir eine Fleecejacke gekauft… warum eigentlich? Wir sind mittendrin in der Extremadura, eine der trockensten und ödesten Landschaften Europas, und freuen uns ziemlich auf deren Ende. Hä? Danach kommt aber irgendwann die Wüste, oder? Da ist es angeblich auch heiß… Dennoch treibt es uns nicht mehr so vorran wie in der ersten Woche. Vielleicht weil wir Marokko näher kommen und wir spüren, was das mit uns macht…
Die Grenze unserer Komfortzone kann jeder im Atlas nachschauen: die Straße zu Gibraltar. Genau dort beim Übertreten auf die Fähre befindet sich die unsichtbare Mauer unserer persönlichen Bequemlichkeitsgrenze und diese Mauer gilt es zu überwinden. Je mehr wir uns dieser Grenze nähern, desto höher geht der Puls, desto mehr denkt man über Alternativen nach, desto mehr spürt man dieses unbequeme Gefühl von Angst vor Neuem, desto öfters steckt ein Kloß im Hals. Dass auch zwei Kinder mitfahren, verschärft das Ganze noch. Wegrennen wäre eine Möglichkeit, die Angst überwinden die Andere… Das Schöne ist, dass, wenn man das schon öfters gemacht hat mit der Komfortzonengrenzüberwindung, es immer leichter wird als bei den ersten Malen, da man genau weiß, dass dahinter etwas wartet, dass nur schwer in Worte zu fassen ist. Es verzaubert dich, verändert dich, beschenkt dich, macht dich freier als ich je gedacht habe, lässt dich das Leben ganz intensiv spüren, du triffst auf eine magische Wirklichkeit. Nein, ich hab nicht zuviel Sonne abgekriegt, es ist tatsächlich so. Allerdings nur, wenn man ganz genau hinschaut und in sich hineinhört. Deswegen lassen wir uns Zeit. Die müssen wir uns noch nicht mal nehmen, die haben wir einfach. Und man muss ja nicht einfach drauflosrennen nach der Grenzmauer, Schritt für Schritt tut’s auch und wenn’s zuviel wird, ist da ja jemand an deiner Seite, der mit dir geht und zur Not sitzen wir einfach ne Weile im Bus, in unserem kleinen Zuhause.
Nach unseren zwei Tagen im Baskenland nehmen wir seit Freitag (oder war es Samstag?) den direkten Weg nach Tarifa. Unsere erste Nacht verbringen wir in Burgos. Ich kann einen kurzen Blick auf zwei Türmchen des UNESCO Welterbes erhaschen, doch das Erreichen des einzigsten Campingplatzes der dortigen Welt ist wichtiger. Es ist immer noch kalt und stürmisch und wir packen mittlerweile an Busfahrtagen nur noch das Nötigste aus. Dazu gehört natürlich in erster Linie ein Fußball, Susannas Spielkiste und die Tina im Buggy, wehe wir denken erst an uns. Auf diesem Platz bricht das Eis zwischen Maja und anderen Kindern. Maja hat ihre eigene persönliche Komfortzone überwunden (unsere Gibraltar-Grenze lässt sie nämlich ziemlich kalt). Spanische Kinder spielen dort noch um neun Uhr in allen Alterklassen zusammen und fragen Maja, ob sie mit Ball spielen möchte. Und sie traut sich. Papa auch.
Es ist superanstrengend bei diesem andauernden kalten Wind das Camperleben zu bewältigen, meistens mit Allemann im Bus, in dem sich bei ausgeklappter Sitzbank eine Stehmöglichkeit für 1,5 Personen bietet. Am darauffolgenden Tag verschwinden zwar die dazugehörigen Wolken, aber der Wind fegt uns zur Mitagspause den Fußball vom Riesen-Parkplatz des Estadio de Valladolid, und so hechte ich zwanzig Minuten lang aufopfernd mit Susanna auf dem Arm dem Ball hinterher. Die Zwei finden das total witzig. Ich dagegen bin dankbar als Matthias vom Einkauf zurückkommt mit Sushi, Kakao und Überraschungsei. Wir fahren die einsame Ruta de la Plata kaum merkbar (zumindest für Menschen ohne T3-Bus) immer höher an Störchen und Feldern vorbei und aus der Ferne nähern sich Hügel. Mit Schnee??? Tatsächlich. Die Hügel sind zwischen 1800 und 2500 hoch und wir müssen mittendurch. Ach ja, ich erinnere mich wieder: die Cordilleres Centrales. Wunderschön! Schon auf der Rückfahrt damals 2012 wären wir gerne ausgestiegen. Warum also nicht jetzt kurz hierbleiben? Der Bus kraxelt mit 35kmh den 990m Pass hoch und in Hervás am Camino de Santiago finden wir einen tollen Campingplatz voller spanischen, à la “Las Piranas”-Arrucha streitenden (oder vielleicht doch nur sich freundlich unterhaltenden) Familien unter Ahorn-, Oliven, Kastanienbäumen, Weinreben, Rosensträuchern, Palmen direkt neben einem kleinen Spielplatz. Mit Kindern. Und keiner Wolke am Himmel bei angenehmen 25° also quasi schonmal das Paradies auf Kurzzeit.
Wir beschließen am nächsten Tag die Wanderfähigkeiten unserer Kinder zu testen. Funktioniert gut, wenn man mal davon absieht, dass die Eltern es sind, die mit je 10 und 16 Kilo auf dem Rücken wandern und Kinder sowie Proviant getragen werden (Proviant kann halt nicht selber laufen). Aber wir sind echt stolz auf die Zwei, die Spaß an der ganzen Aktion haben (solange wir Steine in den Bach werfen oder nicht stehen bleiben um die grandiose Aussicht zu bewundern)! Und auf uns. Zwei Stunden klettern wir im Gänsemarsch schwitzend serpentinenmäßig durch uralte Wälder auf 1100m hoch, entdecken knallgrün-türkise Eidechsen, werden von tausend kleinen Fliegen umgarnt und erreichen fix und fertig einen klaren, eiskalten Wasserfall, dessen Gischt uns erfrischt, Maja und ich die Füße baden und wir alle Vier unsere Trauben, Bananen und Keksen plündern. Bergab gehts schneller, manchmal sogar zu schnell. So verschläft Susanna meinen kleinen Stunt auf dem Popo. „Da hat die Mama Glück gehabt!“ staunt die schlaue Maja.
Der kleine Nachteil beim Wandern mit Trage: die Eltern kommen total ereldigt unten an, doch die Kinder wären jetzt dann soweit, dass sie bitte wieder spielen, laufen, Windeln wechseln, Fußball spielen, Steinchen essen wollen. Doch wir wollen nur sitzen, trinken, atmen… Da das alte Dörfchen Hervás so beeindruckend auf einem Hügel posiert, und doch noch etwas Unternehmungsgeist in uns zu finden ist, schlendern wir durch die engen Gassen mit dem Ziel ein Eis zu essen. Maja kriegt ihr erstes Eigenes: Chocolatissimo steht drauf und ist auch drin. Den restlichen Weg zur Taperia haben wir das gesamte Dorf unterhalten, denn Maja trägt und schleckt stolz ihr Eis und aus dem mittlerweile schwarzen Schokogesicht blitzen schelmisch zwei blaue Augen. Und „Nein!“ Man darf nicht probieren! Am Ende tauscht sie gottseidank ihr Restgeschmiere gegen eine Autofahrt im VW-Kinderkäfer und wir stürzen uns auf Bocadillos con pollo y aioli. Die Schokoeis-Aioli-Maja mit Staub und Dreck bekomme ich nur noch unter der Dusche sauber. Die Campingduschen… ein Königreich für einen Kleiderhaken und grundsätzlich ein schon kreatives, durchkonzipiertes Dusch-Prozedere für mich allein. Mit Maja eine neue Herausforderung, da somit auch der letze Stehplatz ausgefüllt ist. Doch Maja hat auch noch vor ihrem Bobby-Car eine Komplettreinigung zu verabreichen… 🙂
Montag ist unser Rekordtag! Wir fahren knapp 400 Kilometer bis kurz hinter Sevilla, erreichen dabei kurz 37° im Bus nach einem rettenden Besuch mit schlechten Gewissen bei Mc Donald und landen in Dos Hermanas auf einen Campingplatz voller Wohnmobilisten. Wir fahren nur deswegen so lang, weil es in der megaheißen Einsamkeit der Extremadura weit und breit kein Campingplatz gibt, nur Felder, Erde, Stiere und Bauarbeiter, die den Mittelstreifen der Autobahn bewässern, was eine durchaus sinnvolle Leistung bei dem Übermaß an Wasser hier ist. Die letzten 1,5 Stunden brütet Matthias vorne vor sich hin, während ich nach meinen üblichen ersten Unterhaltungsversuchen vom Beifahrersitz aus (Aramsamsam-Musik voll aufdrehen, damit bei Fahrtwind überhaupt was hinten ankommt; Dizi Weitwurf, da ich schlauerweise immer einen Ersatz bei mir hab vorne; Lilli-Keksweitwurf (Vanillekeks) etc.) mich hinten in den kühlen Schatten zu den Kindern verziehe und sie mit Bananen füttern, Geht-Ein-Mann-Die-Treppe-Rauf, Wasser auf Hände und Füße tröpfeln, Wie-Das-Fähnchen-Auf-Dem-Turme, Bus malen und was mir sonst noch einfällt, durch die letzten Kilometer bringe.
Nach einer schwitzigen, heißen Nacht und Plänen im Kopf, noch das ein oder andere an Bus und Tagesablauf zu verändern, sind wir heute nur zwei windige Stunden gefahren. Während ich seelenruhig in die Tasten hauen kann, steuert Matthias uns durch Andalusiens starke Seiten- und Gegenwinde, hofft darauf nicht umzukippen und wir verwerfen den Plan in Tarifa unser Hauptlager einzurichten, da uns der Sand um die Ohren gefegt wird. Immerhin kann ich schemenhaft durch den Dunst die ersten berge von Afrika sehen. Wie spannend! Es wird noch eine unruhige Auf-und-Ab-Fahrt an der Küste entlang bis wir urplötzlich über einen für uns akzeptablen Platz stolpern: nigelnagelneuer, unbekannter Campingplatz in Manilva zwischen Algeciras und Marbella, mit einsamen Stellplatz unter einsamer Pappel direkt am Meer, Kinderspielplatz, Internet sogar bis zum Stellplatz und Swimming Pool. Welch ein unverhoffter Luxus! Keine Nachbarn, keine Straße, nur Meeresrauschen und Vogelgezwitscher. Es weht ein ordentlicher Wind, so dass es angenehm warm ist. Maja kann sich mit ihrem Bobbycar austoben und steuert andauernd bis zum Zaun, von wo sie das Meer beobachtet: „Jetzt ist das Meer nicht mehr traurig. Jetzt ist die Maja wieder da, das Meer ist nicht mehr alleine.“ Sie hatte sich im Baskenland schon sehr gesorgt um das arme Meer. Ich versprach ihr, dass es wartet.
Ein schöner Ort um sich auf’s große Abenteuer Marokko vorzubereiten, denn es ist noch viel zu tun, nicht nur innerlich. Der Bus braucht noch ein paar Veränderungen, Säuberungsaktionen, Wäsche waschen, wir brauchen noch Autoteile und andere Utensilien. Ja und dann nehmen wir uns vor allem erstmal Zeit zum Ankommen, Reiseführer lesen, spielen, Kakao trinken, planschen, Urlaub machen, durchatmen, leben.
Man muss das Unmögliche versuchen, um das Mögliche zu erreichen.
Hermann Hesse
PS: Vielen lieben Dank für eure Kommentare oder Emails!!! Wir freuen uns wie ein Schneekönig über Nachrichten von Aussen, und dass der Blog tatsächlich gelesen wird. Wir können aber nicht immer sofort antworten, da die Verbindung ausserhalb der Rezeption abbricht. Ein paar Bilder werden demnächst auch noch folgen und die Route hab ich auch mal für uns festgehalten. Schon ganz schön groß dieses Europa…