15.-20.11. El Chaltén Patagonien. Zunaechst stundenlang nichts als oede Steppe mit kleinen Bueschen, ein paar Schafen, die auch Buesche haetten sein koennen, zwischendurch mal ein Skelett vom Schaf, dass am kilometerlange Straßenzaun hängt, ein paar Emus oder Vicuñas, das wars. Und dann taucht urploetzlich eine Fata Morgana an hohen steilen Bergmassiven auf. So was wie die Voralpen existieren nicht. Davor liegen tuerkisblaue Seen mit Eisbergen und Gletschern und wo eben noch die Sonne schien, tuermen sich faszinierende Wolkenberge auf. Das ist meine Welt, denn mein Grinsen laesst sich nur unschwer verbergen und wenn genuegend Platz und Mut dagewesen waere, haette ich ein paar Freudentaenze hingelegt. So kann ich nur unruhig auf meinem engen Bussitz hin und herrutschen und die Haltezeit des Kamera-Akkus herausfordern. Ploetzlich teilen sich auch noch ein paar Wolken und wir erhaschen einen vernebelten Blick auf das kathedralische Fitz Roy-Massiv. Von dem Mini-Dorf El Chaltén kann man den Berg leider nicht mehr sehen, dafuer liegt der Ort in einem malerischen Bergtal, von wo aus alle Touren losgehen. Total k.o. von der zweistündigen Zimmer-Suche (mit je über 20 Kilo Gepäck auf dem Rücken, die mich letztens schon zum Amusement von Matthias wie ein Käfer auf den Rücken fallen liessen und ich ohne Hilfe nicht hochkam) fallen wir endlich in unser Domizil ein und belohnen uns mit lecker Forelle und heisser Schoki. Matthias und ich entschieden uns fuer eine 2 Tages-Tour zum Fitz Roy und Cerro Torro. Das hiess am naechsten Tag: Zelt, Isomatte, Kocher, Besteck, Topf, Essen besorgen. Rucksaecke komplett ausraumen und gut geplant wieder ein. Wo lassen wir unsere restlichen Sachen und wieviel Schokolade und Weingummi (jaa, welches gefunden!) koennen wir (ver)tragen? Und wie oft kann man diese kilometerlange San Martin Strasse eigentlich rauf und runterlaufen? Wir waren schon total muede, wollten aber noch unbedingt die kleinere 2-3 Stunden Tour zum “Warmlaufen” wandern. Somit erhielten wir schon an diesem Tag einen Vorgeschmack auf die wunderschoene Fabenvielfalt zwischen Wiesen, Bueschen, Bergen, Voegel, Wolken und Himmel von Patagonien. Wirklich schade dass ich keine Fotos hochladen kann… Ai will du mai waerri baesst!
Zu dieser Jahreszeit ist ein Foto mit Fitz Roy Gold wert, denn er ist normalerweise den gesamten Tag in Wolken gehuellt. Auf dieser kleinen Wanderung konnte man zwischendurch teilweise den Giganten vor unserer Nase erahnen, jedoch nie komplett. Dafuer durften wir in die laute Stille eines sumpfigen Seeufers eintauchen, wo man sich mehrmals das Kiefergelenk verrenkt, weil man denkt man hat was auf den Ohren, dabei ist es einfach nur komplett geraeuschlos und der Weg endete urploetzlich in schwindelerregnder Hoehe vor einem kilometerweiten Panorama an Weide- und Seenlandschaft in der Abendsonne.
Juchuuh! Entgegen aller Wettervorhersagen schien Petrus auf unserer Seite zu stehen. Wer hoert denn schon auf einheimische Meterologen?! Wir wachen auf und die Sonne scheint, nur das zaehlt! Die Nase erfriert zwar im stuermischen Wind, aber wir stapfen vollbepackt und dick eingemummt los, brauchen feierliche 20 Minuten um ein stuermisches Selbstausloeser-Foto vorm Start-Tor der Wanderung zu machen und 5 Minuten spaeter entledigen wir uns der Haelfte der Schichten, weil es uns steilbergauf und in windgeschuetzten Waeldern doch zum schwitzen und schnaufen bringt. Schon nach 1 Stunde werden wir von den ersten kilometerweiten patagonischen Berg-und-Tal-Panorama belohnt, wobei es weiter bergauf geht und wir schon ganz ungeduldig werden, da man bald das Bergmassiv sehen soll und wir klaren blauen Himmel haben (Wetterprognosen blieben stur auf Regen und Schneesturm). Nur noch eine Kurve und auf einmal, wie auf Postkarten: Fitz Roy! Welch eine Seltenheit! Und dieses Bilderbuchpanorama begleitete uns die naechsten 3 Stunden. Abwechselnd wanderten wir durch Waelder, Taeler, Straeucher in Gruen, Blau, Rot und Gelb. Ueber uns war blau bis weiss und abwechselnd gabs Sonne und Schnee, aber kontinuierlich pfeifte der eisige Wind der uns mal erfrischte mal verkuehlte. Es waren kaum Wanderer unterwegs, was auch daran lag, dass wir die letzten gewesen sind, die losgingen, weil die meisten sich nur an die 1 Tages Tour wagten. Wir hatten mehr Zeit im Gepaeck und wir liessen kein Foto, keine Abstecher, kein Brueckchen aus und namen mit was wir an Natur kriegen konnten. Die Nase lief zwar permanent und Jacken, Pullis, Handschuhe wurden minuetlich aus- und angezogen, aber wir grinsten weiterhin bis ueber beide Ohren. Leider zogen irgendwann ein paar Wolken vor Fitz Roy, doch wir hatten es nicht mehr weit. Laut Karte nur noch etwa 1 km, wir passierten das Base-Camp fuer die ganz-schoen-doll Bekloppten Bergsteiger und Kletterer und laechelten ueber die Schilder, dass da bald die letzten 500m des Weges nur fuer geuebte Wanderer sein sollten und man irgendwie aufpassen musste oder so. Pff! Hallo? Wir sind Profis! Ein Parkwaechter stellt uns auch noch so bloede Fragen und ein Ami mahnte uns mit dem Gepaeck auf dem Ruecken kaemen wir nicht weit. Alles Weicheier… 5 Minuten spaeter ging kaum noch ein Schritt weiter. Der Weg bestand mittlerweile nur noch aus Felsen und vor uns tuermte sich ein Berg senkrecht auf und der “Weg” ging geradeaus hoch. Nein, keine Serpentinen! Weise und klug wie wir waren, versteckten wir nun doch unsere Rucksaecke hinter ein paar Bueschen neben dem ersten Schneefeld und weitere 5 Minuten spaeter schnaufte ich aus dem letzten Loch. Einige Wanderer kamen total froehlich und springend wieder runter und feuerten uns aufmuntend zu mit: Hey! Nur noch 30, 20, 15 Minuten! ich haett sie alle erschlagen koennen, wenn ich die Kraft gehabt haette. Nur die Aussicht und die Schneeflocken hielten mich bei Laune und so kletteren wir mutig und hoffnungsvoll den Berg hinauf. Ich glaube insgesamt brauchten wir 1,5 Stunden (one-way!), die sich aber so was von lohnten! Irgendwann kurz vor Ziel geht man um den Berg herum und steht ploetzlich genau vor der letzten Fitz Roy-Spitze, die selbst mit verhangenen Wolken einfach eine gigantische Aura hat. Wenn man es schafft bei dem Eissturm, der uns ploetzlich um die Ohren pfiff, die Augen offen zu halten, einen Schritt nach dem anderen vorwaerts kommt, sich durch ein paar Schnee- und vereiste Gesteinsfelder kaempft, udn hinter jedem größeren Stein dankbar Schutz sucht um neue Kraefte zu sammeln, wenn man das alles geschafft hat und noch Atem hat, dann verschlaegts einem genau eben diesen, weil man noch naeher an den Berg rankommt und ploetzlich eine tuerkisblaue Lagune in der Tiefe entdeckt. Selbst die Kamera in der Hand zu halten war bei den Naturgewalten schwer, der Wind wehte und erst kurz vorm gluecklichen Erfrieren kaempften wir uns wieder zurueck. Auf den steilen Weg nach unten hatte dann mein Problem-Knie keien Motivation mehr und ich krebste seitwaerts im Schneckentempo weiter. Aber was solls! Hinter mir der Fritz Koenig ueber mir blauer Himmel mit Schneeflocken, um mich herum patagonisches Panorama unter mir nichts außer der geduldige Matthias und niemand bis auf ein paar Felsen und ganz unten neben dem Fluesschen unser Zeltplatz und links… oje! Links in der Ferne war Ende mit blauer Himmel und Panorama. Eine graue, wilde Wand kam auf uns zu. Ich glaube, wir sollten uns beeilen, denn dass sah nach echtem patagonischen Schneesturm aus!
Wir kamen unfallfrei nach einem achstuendigen Wandertag an unserem einsamen Zeltplatz an. Um uns herum zogen mittlweile dichte Wolken auf und nur ueber uns war dankbar noch ein Fleckchen blauer Himmel. Doch noch waerend wir das Zelt aufbauten, und ich mir alles anzog was ich dabei hatte, waehrend wir eine Stunde lang Nudeln kochten wurde der Schnee dichter und der Wind pfiff durch die Baeume ueber uns. Die letzten Vorbereitungen des Abendmahls waren nur noch im Mini-Zelt moeglich, dafuer schmeckten die improvisierte Nudelpampe mit Tomatensosse (das übliche Zelter-Mahl) himmlisch! Inzwischen hatte ich schon drei Socken inclusive umwickelte Windjacke an den Fuessen und fror selbst mit 10 Schichten im Schlafsack. Der Schneesturm fegte gottseidank nur durch die Baeume und liess das Zelt in Ruhe. Zaehneputzen war kaum nochmoeglich, da Finger und Zahne fast gleichzeitig einfroren, doch es war noch nichtmal dunkel und wir hatten nichts zu schreiben oder zu spielen mit. So uebten wir uns in Groschen-in-Becher-schnipsen, Tee trinken, und Schauergeschichten bis es dunkel war und ich betete diese Nacht nicht auf Klo zu muessen. Schnell noch schlauerweise eine Flasche mit warmen Wasser an die Fuesse und dann versuchen auf der 5mm-Isomatte als Michelin-Maennchen einzuschlafen mit Muetze, Schal und doppelt Handschuhe.
Dazu muss man einfach ignorieren, dass sich die Hueftknochen in die Erde boren bis mindestens ein Bein schonmal eingeschlafen ist. Fehlt also noch der Rest. Hmm, mal versuchen zu drehen, nein bewegen nicht moeglich im Schlafsack… oder doch? Ja, die Bewegung waermt wenigstens auf, mist meine Fuesse sind irgendwie sehr kalt… endlich, ich liege auf dem Ruecken… aah, jetzt schlaeft auch mein Kreuzbein ein, wusste gar nicht, dass das geht… puuh, Fuesse fuehlen sich irgendwie komisch an, hab doch 3 Socken und meine Jacke an… doch wieder auf die Seite… aber welche?… so… liege mal auf der anderen Seite… gut, jetzt schlaeft auch mein Arm endlich und meine Schulter schmerzt… dieses nervige Kissen (Pulli) kann ich gar nicht richten, weil ich dafuer meine eingemummten Hanede rauskramen muesste…mal wieder Prinzessin auf der Erbse, was?… die andere Seite war doch besser… also erst wieder auf den Ruecken… uff, kleine Pause… nein, schlafen nicht moeglich… also wieder die erste Seite… doofe Fuesse, habt ihr ueberhaupt noch ein Gefuehl?!… aah, ja so gehts etwas… nur meine Fuesse sind irgendwie kalt… sehr kalt…
So ging das ungelogen etwa 5 Stunden. Matthias schlief friedlich. Der Sturm fegte unheimlich durch die Baeume und das Gefuehl irgendwie mitten im verschneiten Patagonien vorm Fitz Roy zu liegen waehrend in Deutschland so langsam wieder die verschlafenen Aeuglein geoeffnet werden, war ein unwirkliches Gefuehl. Ausserdem war es so dunkel dass man mit geschlossenen Augen fast mehr sehen konnte als wenn wir sie oeffneten. Und meine Fuesse machten mir nun echt Sorgen… Bei der naechsten Bewegung machte mein Schlafsack dann ein schmatzendes Geraeusch und ganz ploetzlich wurde mir bewusst, warum sich seit Stunden meine Fuesse so eigenartig anfuehlten! Der erschreckende Geistesblitz erhellt kurz das Zelt. Tatsaechlich. Die Flasche war komplett ausgelaufen und meine drei Socken-Schicht mit Wasser vollgesogen, Schlafsack und Windjacke natuerlich patschnass! Bei der Kaelte! Aber so hatten wir wenigstens wieder was Abwechselung in der schlaflosen Nacht: Fuesse aufwaermen, Klamotten wechseln. Dankbar nehme ich Matthias Jeans, tausche mit dem Gentleman den Schlafsack, und versuche erfindersch doch noch trockene Stellen im Zelt zu erwischen. Und wo ich gerade auf war konnte ich ja auch noch im Stockduesteren auf’s Naturklo gehen, im Stirnlampenlicht unheimliche Bäume und Schneeflocken betrachten und versuchen nicht daran zu denken, dass es hier Pumas gibt. Ich schlief irgendwann morgens um halb sieben doch noch eine Stunde, den Rest der Nacht hatte ich komplett mit Zittern und Frieren verbracht.
Haltet ihr mich fuer verrueckt, wenn ich das alles dennoch geliebt habe? Es gab nur den kurzen Moment der Erkenntnis meiner nassen, tauben Fuesse, wo ich kurz am Fluchen war, und das ewige Zittern war etwas ermuedend, aber alles andere war einfach irgendwie… spannend, wild und echt. Und das ist erst Teil1!