Da sind wir wieder! Keine Sorge, wir schreiben noch weiter, aber auch Reisende brauchen mal Urlaub! Ein paar Tage Gardasee und wir sind wieder völlig geresettet, gesettelt und gesättigt. Unsere Aufnahme-Akkus für weitere Abenteuer und Erlebnisse sind aufgeladen, wozu wir dringend ein wenig Abenteuerminimalismus brauchten. Nicht nur die Speicherkarten unserer Fotokameras haben wieder Platz auch unsere interne Festplatte an Erinnerungsaufnahmen kann wieder gefüllt werden. Dazu mussten zunächst unsere Bäuche mit Gelatti Ciocolatta, Pizza und Tiramisu gefüllt werden. Anhand der vertilgten Eismengen erkennt man die zu verarbeitenden Erlebnisse. Demnach hatte Maja schokoladenhaft viel zu verarbeiten. Ihre Shirts, Hosen und Haare auch. Susanna darf ihre Erlebnisse derweil mit Omas Erdbeer-Yoghurtbecher, meinen Pizzarändern, Weintrauben, Pfirsichen und Sesamstangen verarbeiten und wenn wir gerad nicht hingucken auch mit Steinchen und Blumenerde. Ach ne, das war ja ich, der Susanna die Erde hinhielt und ich es mit Schokolade verwechselte. Wer mich kennt, weiß, ich bin Schoko- beziehungsweise Kakao-Genüssen leicht zugeneigt. Wo, wenn nicht in Bella Italia muss man vier Kugeln Eis (eine Kugel = drei Kugeln bei uns) davon zwei Schoko und eine Schoko blanca (Amarena für die Balance) mit Schokosoße in sich hineinlöffeln, wobei ich eher damit zu tun hatte, meine Maja unter ihrem Schokoeis wiederzufinden. Matthias vertieft sich lieber in jegliche Tiramisu-Varianten und beschwert sich glatt, dass wir nicht zwei mitgebracht haben vom Einkauf. Ich hätt’s wissen müssen, Aufenthalte unterm Bus machen bissig und hungrig. Nicht nur die Mücken. Von der Zitrus-Mückenkerze hab ich auch nur Eine mitgebracht. Die ist seit einer halben Stunde leer und ich bin glücklicherweise noch da. Die Hände wurden sowiso schon die letzten paar Tage attackiert, da bleibt nichts mehr übrig für die umherirrenden, unsichtbaren, hinterlistigen Blutsauger. Ein Moskitonetz ist auch endlich bei uns eingezogen, allerding dauert es 20 Minuten bis wir das Riesenspinnennetz über und um uns organisiert haben, ohne dass sich eine Susanna oder ein Matthias darin einwickelt, so dass wir uns lieber von der einen statistischen Heldenmücke piesacken lassen, die es durch unsere Tür schafft und uns noch was Besseres ausdenken müssen wie wir das Abwehrnetz einsetzen.
Was gibt’s noch so am Gardasee außer Mücken? Italiener. Ungefähr genausoviel. Aber etwas lauter. Meine Mama hat für die Woche eigentlich den schönsten Platz am See gefunden, direkt an der engsten und tiefsten Stelle. In Castelletto de Brenzone im Agricampeggio Paradiso stellen wir unseren Bus unter uralten, knorrigen Olivenbäumen auf und sie hat ne halbe Minute steilbergauf ein Appartement mit Terasse, suizidgefährdeter Palme, Oleanderbäumen, Kräutergarten, Liegen und dazu einen paradiesischen Ausblick über See und Berge. Ein familiärer Campingplatz durch und durch: unser Weckruf morgens: „Luiiigiii!!!“, unser Mittagsruhestörer „Luiigii!!!“, unser Abendgebell: „Luuigiii!!“, unser Gute-Nacht-Befehl: „Luigggii!!!!“, und zwischendurch „ Eh? Llluigi?“, „Luuiggii?!“ „Eh!! Luigi!!!!“. Der alte Patrone hat den Campingplatz anscheinend seinen Jungspund-Sohnemann vermacht, der ein wenig verpeilt, ein wenig bemüht, ein wenig freundlich, aber auf jeden Fall ganz schön italienisch versucht den Platz zu führen. Wäre da nicht der Papa, der oben zwischen den Obstbäumen auf seinen Schemel verbannt wurde und im Viertelstunden-Takt zu seinem Sohn runterbellt. Darauf folg immer ein fluchender Wortschwall (immer irgendwas mit „porco und „madonna“) und Luigiu gibt Konter. Eines Morgens können wir das Schauspiel auch direkt vor unserer Tür beobachten wie die zwei nach italienischer Gestikulier-Manier (Schultern an die Ohrläppchen kleben, Kopf am 3. Halswirbel um 5 ° zur seite kippen, Dackelstirn und ganz wichtig beide Hände frei um die Handflächen gen Himmel zu heben) diskutieren. Wir finden den Campingplatz toll! Matthias schlägt Luigi schon vor, dem Papa mal ein Walkie Talkie zu schenken, doch der verdreht nur die Augen – Nein, bloß nicht! Luigi könnt einem fast leid tun, wenn er nicht selbt uns manchmal zur Verzweifelung bringt. Ich weiß nicht, ob Italiener grundsätzlich so sind, oder wir nur an einen akuten Fall von Wir-haben-keine-Zeit-UND-keine-Uhren geraten sind. Wir wollen Brötchen kaufen? Si, in fünf Minuten? Croissants? In 30 Minuten. Was? Wäsche ist fertig? Nein, warte, in fünf Minuten (wir stehen direkt vor der Wäschekammer und man hört die Waschmaschine nicht mehr, ich sag wir können doch mal reingucken: aaah, ja ist doch fertig!)! Egal wonach wir fragen, alles dauert erstmal noch fünf Minuten, auch wenn wir Luigi extra aus seiner Siesta klingeln und er mit seinem italienischen Tuk-Tuk den Berg runtergepest kommt. Wäsche fertig? Warte, in zehn Minuten. Zehn Minuetn in denen er irgendwie nichts macht. Man hätte uns auch einfach den Schlüssel geben können oder einfach wie alle Campingplätze dieser Welt, die Waschmaschine nicht einsperren. Italienische Campinghausordnungen entsprechen grundsätzlich keiner Logik. So wird in der morgentlich dringlichen Rush-Hour für Toilettengänge von 8 bis 8h40 die Toiletten gesperrt zur Reinigung. Ich muss trotzdem. Si? Vielleicht in zehn Minuten? No? Na gut. Am Abfahrttag sollen wir bis 11h den Platz freimachen und unseren Bus daneben parken. Wie gut, dass auch wir keine Uhren haben. Und ich glaub Luigi hat keine Lust mehr auf Diskussionen mit Matthias. Am dritten Morgen wollen wir anstatt zehn Brötchen nur fünf. No no, das geht natürlich nicht auf einmal! Wir müssen die zehn kaufen und zwei davon auch noch aus der Von-Gestern-Tüte.
Mit der Brötchen-Tüte klettern wir dann jeden Morgen hoch zur Terrasse von meiner Mama und genießen die Frühstückszeremonie nachdem wir die letzte Woche nur unzivilisiert auf der Picknick-Decke geschnellstückt haben. Maja findet fast jedes Mal tatsächlich eine Pusteblume und wir merken wie nah wir unserem Leben in Deutschland, unseren Alltag und unserer Heimat kommen. Fühlt sich gut an. Aber nicht nur Mama und Pusteblumen holen uns zurück. Das für uns immer wieder schönste Heimatsgefühl ist das Abendlied der Amseln. Wir haben gar nicht gemerkt, dass sie nicht mehr da war, da wird einem plötzlich ganz warm ums Herz, wenn man sie wieder hört. Am ersten Tag versucht Matthias dann den Mechaniker zu erreichen, der uns die Antriebswellen austauschen soll. Beziehungsweise Luigi versucht seinen Kumpel zu erreichen: Si, er kommt in fünf Minuten.“ Nach einem halben Tag „fünf Minuten“ haben wir keine Lust mehr. Matthias fährt einfach selber vorbei, nachdem Luigi unwillig die Adresse rausgibt. Er trifft in der Werkstatt auf einen hektischen Italiener ohne Zeit aber mit ganz ganz viel Arbeit, der um seine Mechaniker einen Eiertanz aufführt um sie hin und herzuscheuchen und Matthias versucht abzuwimmeln, er solle doch morgen früh anrufen, dann wisse er vielleicht, ob er sich unserem Gefährt erbarmen wird, während die darauffolgende Kundschaft ohne alten VW-Bus freundlich begrüßt wird. Wir entführen den Matthias mit zum Baden im eiskalten See und Matthias und ich überlegen wann wir wohl mal alleine im See geschwommen sind, nur wir beide ohne Pänz – das war noch nicht sehr oft. Mit Pänz im See: noch nie, das holen wir mit Maja direkt mal nach, die sich über so viel Entertainement von Mama UND Papa tierisch freut.
Der Mechaniker geht am nächsten Morgen natürlich nicht an sein Telefon und irgendwann schiebt sich der arme Matthias dann doch selbst ohne Hebemaschine unter den Bus und tauscht die Wellen aus, richtet das Glühwürmchen-Problem (nie wieder manuelles Vorglüh-Manöver!) und repariert den Fensterheber. Der Zustand der Unversehrtheit dauert genau eine Stunde. Naja, diesmal ist es nur der Knauf meiner Fensterkurbel, eigentlich zu verkraften, aber Matthias und ich schauen uns an und sind echt am fluchen. Vorsorglich reparieren wir den erstmal nicht, nachher geht anschließend was anderes kaputt.
Nicht nur dem Bus gehts gut, auch die zwei Mädels können sich ordentlich austoben. Maja kann es morgens gar nicht abwarten nach oben zu Oma zu gehen und Susanna wird immer schneller und kreativer in ihrer Fortbewegung. Stundenlang kann sie die eine kleine Stufe der Terassentür austesten und krabbelt quiekend ihrem Ball hinterher, denn werfen und fangen kann sie jetzt schon richtig gut. Nach dem Frühstück und ein paar Runden „im Kreisel gehen“ (auf den Steinen um die Palme herumbalancieren bis einem von uns schlecht wird, nur Maja nicht) sitzen dann plötzlich beide still und ruhig im Wohnzimmer und vertiefen sich in ein Buch. Ach ja, das würd ich auch nochmal gerne tun, doch ich trenne mich von den 6 bis 8 mitgebrachten und nie angerührten Taschenbüchern sowie den Marokko-Reiseführern, unseren 50 Kilos an Souvenirs, gesammelten Steinen und Sahara-Sand. Mit Mamas Auto geht das schonmal vorab nach Hause. Was haben wir auf eimal Platz! Nicht nur im Bus. Auch in unseren Reiseseelen entsteht langsam wieder Platz für neue Eindrücke.
Doch haben wir nicht nur Eis gegessen, Autos repariert und im See geplanscht. An einem Tag sind wir mit den frischen Antriebswellen nach Malcesine gefahren. Ein Ort der aus dem abendlichen, deutschen ARD-Schnulzfilm entsprungen ist, wo die Sonne immer scheint und es nur schöne Menschen gibt, die Cabrio fahren. Maja hat Spaß am deutschen-Autos-zählen, und Matthias und ich können endlich nochmal Mäuschen spielen und den Gesprächen anderer Leute zuhören. Neben Leute-beobachten eines unserer Lieblingshobbies und wenn die auch noch sympatisch rumsächseln, werden wir beide ganz schnell still und werfen uns ein Grinsen zu. Menschen sind schon irgendwie eine interessante Spezie. Mit der Dampfrad-Fähre fahren wir einmal über den See ins zitronige Limone, wo es Zitronen-Marzipan, Zitronen-Gebäck und getrocknete Zitronen (wer’s mal ausprobieren will: nehmt lieber die Feigen!) gibt und einen kleinen Kiesstrand an dem wir unsere Zeit vertreiben bevor es auch schon wieder zurück geht. Maja und Susanna haben einen Heidenspaß am Bootfahren und nicht nur wir haben unseren Spaß den Beiden am Spaß-haben zuzusehen. Doch Gondelfahren ist definitiv das absolute Highlight für Kinder. Vor allem wenn das Spaceshuttle von Malcesine (oder auch Riesen-Gaskartusche) im Affenzahn über die Bäume und Häuser hinwegschwebt. Susanna, direkt vorne in der ersten Reihe, ist völlig aus dem Häuschen und unsanft muss ich ihre Händchen von ihrer Lieblings-Gondelstange trennen, was ein lautes Gebrüll nach sich zieht. Gottseidank war das nur eine Mittelstation, so dass noch eine Gondel folgt. Oben angekommen brauchen wir erstmal eine Pause und was zu Essen und weil so schönes Wetter ist leisten wir uns ein teures Picknick auf der Bergspitze. Der letzte Bissen ist noch nicht runter, da zieht sich urplötzlich alles zu, es fängt an zu regnen und wir flüchten. Da wir darin keinen Sinn sehen nur für ein teuers Picknick mit der Gondel auf einen Berg gefahren zu sein, gehen wir halt rein und trinken dort noch eine teure heiße Schokolade. Der letzte Schluck ist noch nicht runter, alle Kakaobärtchen noch nicht abgewischt, da verziehen sich die Wolken und wir haben freie Sicht und freien Auslauf, doch noch für eine kleine Wanderung. Nein, nein, bloß nicht zu lange! Nervös schauen wir schonmal auf die Uhr, sonst fährt meine Mama noch ohne uns wieder runter und geht zu Fuß zurück, da wir auf keinen Fall das Deutschlandspiel verpassen wollen. Zunächst erklimmen wir den Berggrat und haben gerade noch Zeit etwa zehn Selbstauslöser-Fotos zu machen, bis Susanna endlich mal mit auf dem Foto ist, wenn auch nur der Hinterkopf. Das letzet Foto ist noch nicht vorbei, da stürzen sich die Wolken über den Bergkamm nach oben auf uns zu. Wir trauen uns noch ein paar Schritte doch mit einem Mal ist es nur noch weiß und kalt. Maja in der Trage ziehen wir mit allem an was wir haben, jeder opfert noch ein Kleidungsstück, da sie nun doch anfängt zu frieren und wir beeilen uns zurückzuwandern in der Hoffnung nicht über den falschen Stein abzubiegen. Erfrischt und voller Vorfreude, denn Matthias und ich sehen heute zum ersten Mal seit 10 Wochen nochmal fern, machen wir es uns später vor dem Briefmarken-Bildschirm bei Mama im Appartement gemütlich. Juchuh, Frankreich ist besiegt, so langsam steigt auch bei uns das WM-Fieber. Mal sehen wo wir das nächste Spiel uns ansehen können. Maja und Susanna sind ebenfalls total gebannt von den Flimmerbildern und kriegen sich zum Schluss gar nicht mehr ein, vom Bildschirm-berühren.
Es waren nur fünf ganze Tage am Gardasee, aber die haben uns alle sehr erholt, denn auch reisen kann anstrengend sein. Nur fünf Tage, aber dennoch viel, viel schöne Urlaubszeit mit meiner Mama verbracht, Reise-Erlebnisse sowie Neuigkeiten von daheim verarbeitet, Fotos abgespeichert (ich weiß, leider immer noch nicht hochgeladen, die Verbindungen bzw. „die Konektivität Ihres Komputers ist zurzeit eingeschränkt“), tagelang die schöne Aussicht und die alten Olivenbäume genossen, nochmal normal in einer Küche kochen, an einem großen Tisch essen, Porzellangeschirr benutzen, mit Maja aufs Klo gehen, Susanna sausen lassen, auch mal die Tagebuch-Pause genießen, mit Kanada skypen und die Seele wahlweise auch die Füße im Springbrunnen baumeln lassen.
Am Sonntag müssen wir uns dann sputen, denn um 11 Uhr vom Campinplatz loszukommen ist auch mit Mamas Hilfe kaum zu schaffen. Selbst nach zehneinhalb Wochen sind wir immer wieder erstaunt, was für ein Chaos in kürzester Zeit im Bus entsteht. Dabei haben wir schon ziemlich gut gepackt, so gut wie nichts zu viel eingepackt und darauf sind wir ziemlich stolz, alles hat seinen Platz und auch unsere Ordnung halten wir meistens gut durch. Die Kinder nicht. Und derjenige der zuhause immer den einen Socken aus der Wäschtrommel klaut, der fährt auch bei uns mit und klaut Klamotten und Spielsachen. Obwohl wir jeden Platz mit Verlusten verlassen, wird‘s nicht weniger und nicht weniger chaotisch. Doch endlich sitzen wir im Bus und wollen abfahren. Doch wohin eigentlich? Irgeendwas müssen wir ja in unser Navi eingeben. Obwohl… eigentlich fährt es sich besser ohne Navi und mit Karten. Aber die haben wir noch nicht. Naja, mal sehen, wie weit ist es bis nach Istanbul? Etwa 1800km. Dann mal los! Nach Marokko und Urlaub am Gardasee folgt jetzt Teil 3 der Reise: durch den Balkan zum nächsten Orient nach Istanbul. Uns bleiben noch 6,5 Reisewochen, die wir wieder mit neuen, schönen, abenteuerlichen Eindrücken füllen möchten. Nachdem wir in Afrika weitgehends außerhalb der Komfortzone unterwegs waren, sind wir gespannt, ob uns das nochmal gelingt. Das mit der Magie und so, das stimmt nämlich.