Eisige Kälte. Der Atem wird flacher. Die Haut beginnt zu prickeln als ob wir in Brause schwimmen. Bloß in Bewegung bleiben. Nach ein paar Minuten hat sich der Körper dran gewöhnt und ich mache den Toten Mann. Also auch noch Haare und Ohren rein. Das Meer schaukelt mich sanft unter dem wilden Himmel. Das eisige Wasser um mich ist wie ein Jungbrunnen, der Körper fühlt sich so unfassbar gut an und wir sind stolz darauf, dass unsere Körper diese Kälte bezwingen. Susanna stürzt sich innerhalb von nur Sekunden in die Fluten, Maja und ich müssen erst immer gemeinsam bis drei zählen. Huhuhuhahaha, ist das kalt brrrr, uoooah! Warum nur kann man das kalte Meer nicht schweigend bezwingen?
Dabei sieht das Meer mit seinen hellblau-türkis-azurblauen Tönen und dem passenden Traumstrand in muschelweiß mit den dementsprechenden Muscheln aus wie in der warmen Karibik? Es lädt geradezu ein sich hineinzustürzen und wir drei Mädels sind mittlerweile geübte Eisschwimmerinnen. Diese Insel ist wirklich ein ganz wundersamer Ort und wir verbringen sechs Tage dort. Die Inselzunge Ross of Mull ist ein sehr abgelegenes Stückchen Erde. Gegessen wird, was uns der kleine, enge Tante-Emma-Laden noch übrig gelassen hat. Unter anderem das labbrigste, weißeste Toastbrot jenseits aller Vorstellungskräfte und Spam, gematschter Schinken in der Dose, Kartoffeln, die nicht einen Tag noch warten können und fünf Weintrauben für 1 Pfund. Es gibt auch kein Internet hier auf der Insel, es sei denn der Wind weht mal ein G herüber. Und der Wind kann ganz schön dolle wehen. Meistens die Wäsche von der Leine. Oder direkt die Leine weg oder gar die Seitenteile der Markise uns um die Ohren oder den Toyo zum Schaukeln. Aber was sind wir dankbar für jeden Windzug, der uns die Midges-Plagegeister vom Hals hält! Mittlerweile ist nur noch ein stürmischer Stellplatz ein guter Stellplatz. Dass diese Stellplätze gleichzeitig auch noch mit Panorama sind, gehört zu Schottland einfach dazu.
Nachdem wir von unserer Traumbucht in Lochbuie losgerissen haben, biegen wir schon nach wenigen Kilometern ab und landen bei einer Weberei. Der junge Weber hat die alten Maschinen dem 75jährigen Vorbesitzer abgekauft und führt mit eigenen Erfindungen das Handwerk weiter. Begeistert erzählt er von seiner Berufung. Er stellt die Wolle mit seinen eigenen Schafen her und färbt sie mit selbstgezüchteten Pflanzen. Seine Riesenmaschinen können die Wolle spinnen und aufwickeln, und die monströsen Webstühle voller Zahnräder, schwarzgeölten Stahlarmen, massiven Elementen und unendlich lautem Geratter weben dann einen feinen Tweetstoff in der feinsten Mustern. Ein paar Kilometer weiter treffen wir dann auf einen Campingplatz einer Schaffarm auf den nächsten Stellplatz direkt am türkisen Meer beziehungsweise bei Ebbe am weißen Muschelsand.
Campingplatztage sind busy days. Für die Eltern. Für unsere zwei Mäuse bedeutet es oft neue Freunde oder ein Spielplatz. Wir packen unser Waschfass aus und befüllen es mit Wäsche, Seife und Wasser. Als Schleudergang dient diesmal das Meer und unsere zwei Badenixen, denen wir einfach die Tonne zum Spielen ins Wasser rollen. Campingplatz heißt auch immer Kinder unter die Dusche und diesmal erlaube ich mir den Spaß direkt alle drei Kinder gleichzeitig mitzunehmen und die Dusche eine Stunde lang unter Wasser zu setzen.
Auf dem Weg hierher sind wir spontan an einem Festival angehalten. Maja und Susanna konnten wir nicht mehr losreißen von der kleinen Pferdeshow. Matthias bringt uns irgendein superleckeres Krebsbrötchen von dem wir nicht wirklich sicher sind, was wir da essen und für Henry, Matthias und mich gibt’s selbstgestrickte Mützen. Wir hätten nie gedacht, dass wir die noch vor dem Winter anziehen. Doch mittlerweile setze ich die Mütze nur noch zum Schlafen ab und auch den Mädels kaufen wir noch nepalesische Mützen. Manchmal ist es einfach nur kalt, manchmal ist es kalt mit Regen, leichtem Regen, mittleren Regen, Regenguß, Nieselregen oder Regensturm alles innerhalb einer Stunde. Manchmal ist es nur stürmisch, dann sind wir dankbar, denn dann gibt’s ja auch keine Midges. An einem weiteren Wildcampstrand einer paradiesischen Bucht direkt am Meer ist es auch mir zu kalt für die Fluten, wir sehen wie so manch einer es versucht, aber höchstens nur bis zu den Knien reinkommt. Matthias ist sowiso kurz vor einer Lungenentzündung, also einem Männerschnupfen. Nein, ich will ihn nur aufziehen, er war echt krank. Aber Majs Schnupfen wird von dem kalten Wasser einfach weggefroren. Schon ein bisschen irre, Susanna und Maja springen glücklich durch die Wellen während ich mit drei Jacken und Mütze daneben sitze.
Wir sind mittlerweile Fährprofis geworden. Die Kinder verdrehen schon fast die Augen, wenn sie mal wieder auf’s Schiff müssen. Doch die Fußgängerfähre auf die Nachbarinsel Iona lässt auch siw nicht kalt und gebannt schauen sie ins tiefklare Wasser. Und außerdem wollen wir ja auch noch Delfine entdecken. Der kleine Ausflug zu der süßen Insel ist irgendwie in unserem Herzen hängen geblieben. Auf Iona leben nur eine handvoll Menschen, aber es gibt sogar eine Grundschule. Auch eine große Kathedrale, wo schon Könige gekrönt wurden und ein Friedhof, wo Könige und angeblich Macbeth beerdigt wurden. Aber das zauberhafte ist eigentlich… keine Ahnung. Das Lädchen mit all den Crofts in wunderschönen Farben? Der Sonnenschein und das Meer und die grünen Hügel? Die bunten Häuschen? Der organic garden mit all den Blumen? Matthias und ich können es nicht sagen, vor allem weil wir nur wenige Stunden da waren, in denen wir eine Sitzbank zum Picknicken sowie ein paar Toiletten gesucht haben. Aber Iona hat irgendwas, was einem zum Lächeln bringt.
Manchmal scheint also tatsächlich die Sonne. Das ist die dankbarste Zeit, denn dann ist es einfach nur gorgeous! Wir entscheiden uns für die Weiterfahrt über die Scenic Route an der Westküste der Insel entlang. Für Wohnmobile nicht geeignet, steht da im Reiseführer. Für fühlen uns definitiv nicht angesprochen, ganz im Gegenteil. Übersetzt heißt das: An alle Abenteurer, da geht’s lang! Was für eine Fahrt!!! Die kleine, schmale Straße ist so breit wie der Toyo und extra präpariert für ihn, also gar nicht. Sie windet sich an den Felsen entlang, rechts steil hoch, links runter ins Meer. Oder in unkoordinierten Serpentinchen durch Toyohohe Farnwälder unter knorrigen, moosbewachsenen Bäumen durch und heidaritgen, weiten Hügeln. Die allgegenwärtigen Schafe ziehen nur noch eine Augenbraue hoch, während sie völlig gechillt ihren Popo zur Seite bewegen. Das ist ihr Land, ganz eindeutig. Wir Menschen werden gerade noch toleriert. In einem Moment fahren wir noch unten am Meer entlang, im nächsten Moment befinden wir uns 200 Meter weiter oben und lassen uns von der überwältigenden Aussicht auf die wilde Felsküste und den tausend grünen Inseln verzaubern. Hinter jeder Kurve wartet was Neues und wir lieben diesen Tag auf der Scenic Route.
Hinter einer Kurve liegt dann plötzlich Calgary da. Allerdings ohne die Rockys dafür mit einem bilderbuchweißem weiten Sandstrand bei Ebbe in einer grünen Bucht, türkisem Meer und einem kleinen Wildcampingplatz direkt am Bach mit Schaukel am Baum über dem Bach. Leider finden viele diesen Platz toll und so quetschen sich noch mehrere Engländer Tür an Tür wie die Sardinen neben uns. Glücklicherweise reicht uns der kleine Logenplatz. Witzigerweise stellt sich heraus, dass die sympathische Familie neben uns, uns verwechselt hat mit einer deutschen Familie mit Toyo, die sie vor ein paar Tagen getroffen haben… unsere Freunde! Mit Yvonne, Bastian, Moritz und Lotta versuchen wir uns schon seit Tagen zu koordinieren, da wir mal das Reisen in Gemeinschaft versuchen wollen. Was zu Fünft klappt, muss ja auch zu Neunt funktionieren. Und außerdem stellt Maja fest, dass nicht nur das Meer gegen Heimweh hilft, auch Freunde sind sehr heilsam.
Ein ganzer Tag Sonnenschein wird natürlich sofort mit mehreren Tagen Hundewetter belohnt. Und Hundewetter begegnen wir mit… Schokolade! Wenn man eigentlich nur mal eben durch das verregnete, zauberhafte Fischerstädtchen Tobermory durchfahren will, und Matthias und meine Augen an einem schokobraunen Haus hängen bleiben… eine Chocolateria. Als wir beide uns damals in Chile kennengelernt haben, sind wir täglich in diesen grausamen Läden hängengeblieben. Der Chocolateria-Funken springt natürlich auf die nächste Generation über und vergessen ist der Regen und die lange Fahrt von der Insel runter. Am Ende des Tages treffen wir unsere Freunde sogar noch schneller als gedacht am Campingplatz. Die vier Kinder sind vor lautstarker Freude nicht mehr zu bändigen und Susanna erklärt mir mit ernsten Augen, dass das eben so ist bei Kindern, die sich über ihre Freunde freuen. Wir Erwachsenen können ja gerne sich leise freuen, aber bei Kindern geht das nicht. Da muss die Freude laut raus, was nicht zu überhören ist, ihr süßen weisen Kinder.