Wir fahren wieder mal in ein neues Land rein und wollen nach Hause. Wir sind fertig mit Reisen und Abenteuern und mit einem Mal packt uns ein wenig Heimweh und die Unlust auf’s Weiterreisen. Dabei treffen wir kurz zuvor noch mitten auf einer eigentlich abgesperrten Bergstraße (aber wenn die Einheimischen die Absperrung ignorieren…) während unserer Mittagspause bei Platzregen im Bus eine interessante deutsche Familie mit siebenjähriger Tochter, die ebenfalls aus entgegengesetzter Richtung die Absperrung passiert sind. Zu Dritt sind sie seit Anfang des Jahres unterwegs mit einem T3 Synchro von Marokko bis in die Türkei. Na den Plan kennen wir doch. Sympatischerweise hat der Vater mit seiner Tochter und deren Fingermalfarbe den Bus ein wenig Rost aufgemalt und haben ein paar Klebestreifen irgendwo hingeklebt, damit der Synchro relativ unattraktiv ausschaut. Leider müssen wir uns bald trennen, damit wir bei dem Wetter gut durch die Berge kommen. Denn überall sehen wir Steinschlagwarnungen oder den Ein oder Anderen Erdrutsch, bei Regen ist diese Strecke also weniger gemütlich. Wir haben Glück und der Regen hört auf, dennoch ist die weitere Strecke bis zur Grenze gruselig. Ein kleine Straße gerade mal ein wenig breiter als unser Bus schlängelt sich in 100 Kurven auf 100 Metern den Berg entlang. Rechts neben mir geht’s nach einem Strauch und zwei Grasbüscheln geradeaus hunderte Meter in die Tiefe. Die uns entgegenkommenden Autos fahren wie die Bekloppten als hätten sie zehn Schutzengel mehr als wir. Ich sitze hinten und bin angespannt. Die Straße ist übersäht mit kleinen Schlaglöchern und manchmal recht schlammig. Einmal säbelt uns ein Transporter fast den Spiegel ab, immer wieder muss Matthias abbremsen und als er bei einem Idioten zur Seite hin ausweichen muss und beim Bremsen für den Bruchteil einer Sekunde leicht ins Rutschen kommt, fällt uns beiden unser Herz in die Schuhe, unter den Bus, bis zum Mittelpunkt der Erde. Im Nachhinein war noch Platz bis zum Abgrund aber Matthias Nerven liegen blank. Mitten in einer Schlucht liegt wunderschön der Grenzübergang. Man passiert eine abenteuerliche Holzbrücke und in Montenegro ist die Straße wieder zweispurig und führt wunderwunderschön an einem großen langen türkisblauen See umgeben von hohen kalkweißen Bergen entlang, die direkt in den see münden. Die Straße schlängelt sich am Berg vorbei und durch den Berg wobei es in Montenegro üblich ist, die Tunnel unbeleuchtet zu lassen, was bei einigen Tunneln echt bekelmmend ist. Vor allem Matthais ist immer noch so fix und fertig von der Strecke, dass wir erstens die vorgeschlagene, kurze Route in den Durmitor Nationalpark links liegen lasen, wie wir später von einem holländischen Pärchen erfahren eine unserer besten Ideen und bis ans Ende des tollen, langen Sees nach Plucine fahren, wo wir im Regen den Schildern zu einem Autokamp folgen. Am Eingang stürzt sich dann Pärchen auf uns: „Sucht ihr enen Campingplatz? Dann bleibt hier, der is cool! Aber nehmt nichts zu trinken an von dem Kerl, wir sind jetzt noch janz betrunken von dem Wässerchen!“ Wir grinsen in uns hinein, den Berliner Dialekt können die Zwei nicht verleugnen, die sind usn auf Anhieb sympatisch. Es geht steil bergab auf einen Super-Mini-Plateau mit wunderschöener Aussicht über den See und die Berge. Doch der Platz ist so überfüllt, wir müssen in zweiter Reihe parken. So gerade haben wir noch Platz auf dem Plateau, weiterhin steht dort: eine Betonmischmaschine und etwas Baumaterial, ein Pfahl mit einem Stromkasten, ein Holzstapel und das coolste Gespann unserer Reise. Ein alter Mini mit einem Berliner Ei aus den 60ern. Von den kleinen DDR-Platzwunderwohnwägen gibt es nur noch an die 60 oder 70, die offiziel zugelassen sind. Wir haben nun schon öfters erfahren müssen, dass die mit den coolsten, fahrbaren Untersätzen nicht immer auch zu den Coolsten gehören. Und man nicht immer auf einer Wellenlänge liegt, nur weil man ähnliche Ideen verwirklicht. Aber ein Mini mit einem Mini-Anhänger aus Ostberlin, die es bis nach Albanien gebracht hat, gehören definitif zu denen, die über den Tellerrand schauen, ausserhalb der Box denken, denken müssen, denn so groß ist die Box ja nicht.
Der Mini-Platz hat wie besagt einen Holzstapel und was macht eine Susanna, wenn sie abgeschnallt wird? Sie dreht sich mit einem eleganten, geschlängelten Schwung aus dem Kindersitz, stellt sich grinsend hin, steigt seitlich aus und beschwert sich, dass man sie noch nicht runtergelassen hat. Es regnet, also Matschhose an, was natürlich schimpfend kommentiert wird und los geht das Gedüse. Erst wird in den Pfützen gespielt, die sich auf usnere Plane gebildet haben. Der Regen hört auf und Susanna entdeckt den Holzstapel. Uui! Wie toll, da kletter ich sofort drauf. Da der eine Holzblock dann doch etwas wackelig daher steht, nimmt Matthias ihn weg, damit er der Susanna nicht auf den Kopf fällt und was sitzt dadrunter??? Schwarz und zusammengerollt hat sich dort ein Skorpion Schutz gesucht. Als Matthias ihn mir zeigen will entrollt er seine Größe und rennt davon. Super!!! Ich will nochmal nach Hause! Erst die Berserker auf der Landstraße, jetzt ein Skorpion, dort wo man nicht mehr damit rechnet! Ich versuche in einer knappen Minute zu googeln, ob die giftig sind und entdecke noch mehr Geviecher, von dem ich nichts wusste, wie so ne ewiglange Balkan-Schlange. Das hat man nun davon, wenn man sich auf Länder einlässt, auf die man nicht vorbereitet ist, weil man eigentlich nur schnell durchfahren wollte um in die Türkei zu gelangen. So ist da Reisen irgendwie anders für mich. Ich lese so gerne Reisebücher, -führer und –berichte. Doch über den Balkan wissen wir nichts und bekommen kaum was raus. Juchuh, ein Abenteuer sollte man meinen, doch wir bereiten uns eigentlich gern auf ein Abenteuerland vor.
Ein Spaziergang zum See entspannt uns schon wieder, doch dieses Städtchen ist wie eine Geisterstadt aus Sowjet-Zeiten, irgendwie uneinladend. Der mürrische Besitzer Alexander, der nicht ein Wort englisch spricht, sondern egal worum es sich handelt, uns nur in montenegrisch anschimpft (in Wirklichkeit schimpft er nicht, doch so hört es sich an), ist eigentlich zuvorkommend, doch da wir untereinander kein Wort verstehen, kommt das nicht so ganz rüber. Wir haben nur ein paar rudimentäre Campingführer über Osteuropa. In Beiden steht drin, dass wenn man als Tourist in Montenegro ankommt, man sich innerhalb von 24 Stunden bei der Polizei melden muss. Punkt und das wars. Jetzt jeden Tag bei der Ankunft? Irgendwelche Formulare ausfüllen? Macht das nicht das Hotel dann selber? Wir fragen die Berliner, doch die wissen von nichts. Im Internet steht auf die Schnelle auch nicht viel, ausser dass man ganz schön Strafe an der Grenze zahlen kann, wenn man nicht irgendwelche Formulare bei der Polizei ausfüllt. Was macht man also als gewissenhafter Tourist? Man möchte zur Polizei. Am nächsten Morgen, nachdem wir von Alexander schon in aller Herrgottsfrühe auf freundliche Weise genötigt werden zu zahlen und etwas in sein heiliges Gästebuch zu schreiben, frage ich die Frau, die ein wenig englisch spricht, ob im Ort eine Polizei ist. Sie versteht mich nicht und ein Mädel, dass ein klitzekleinwenig mehr spricht versteht mich auch nicht. Ich gebe zu verstehen, dass alles ok ist und wir einfach selber schauen und google weiter nach Skorpionen und montenegrischen Ausreiseformalitäten. Das Mädchen kommt zurück, sie hätte jetzt die Polizei gerufen. Oh Mann! Mit kreativer, humorvoller Zeichensprache versuche ich nochmal zu erklären, was da in unserem Buch steht, nur scheint davon niemand was zu wissen, nur, dass ich gewiss keine Polizei holen wollte. Wir sollen auf Alexander warten, der weggefahren ist. Ich geh, da mich scheinbar alle mit Blicken töten und Matthias versucht abermals zu erklären, dass alles hier in Ordnung ist. Alexander kommt und macht eine Riesenterz, den sogar wir übersetzen können, was wir denn hier für Unruhe stiften, alle Gäste seien immer zufrieden gewesen nur wir holen die Polizei, er kümmert sich um seine Gäste, nie hat es ein Problem gegeben. Wie ein drohendes Schutzschild hält er uns imer wieder sein Gästebuch vor die Nase, als wäre es das wichtige Dokument und zeigt aus welchen Ländern, die Leute auf sein Camp schwärmetn und nur positive Einträge hinterlassen haben. Ich hab schon keine Lust mehr, sollen se doch einfach mal ein paar Worte Englisch lernen, dann bräucht er sich gar nicht so aufzuregen. Matthias versucht es nochmal und zwar auf die gleiche vehemente, direkte Art wie Alexander und irgendwann scheint was bei ihm durchgedrungen zu sein. Mit mürrischem Kopfnicken dampft er ab, kehrt auf dem Absatz wieder um, in seine Augenwinkeln scheint nicht mehr ganz so viel Groll zu liegen, schüttelt uns die Hände, dampft ab, dreht wieder um, ein Mini-Lächeln erscheint in dem einen Augenwinkel neben der letzten Wimper, er zeigt auf unser Dachgepäck, steigt hoch um dran zu rütteln, lächelt dann tatsächlich, Daumen hoch und winkt uns ab.
Wir fahren etwa 60 Kilometer bei Sonnenschein durch die Alpen. So sieht’s zumindest aus: Wunderschöne grüne Täler, dichtbewaldete Berge und weißgraue Felsen. In Zabljak im Durmitor Nationalpark kommen wir an einer Touristen Information vorbei, wo wir „kurz“ anhalten und nur mal nachfragen wollen, was das denn mit den Formularen aufsich hat. Das Mädchen kann gut englisch. Ja und sie scheint sich auszukennen. Stimmt, wir brauchen die Formulare immer bei den Ankünften. Normalerweise machen die Campinplätze das selber, aber da wir für die letzte Nacht keinen Wisch hatten, sollen wir jetzt zuerst zu einem Buchladen in einem gelbgrauen Gebäude und die Dokumente selber kaufen und damit zur Polizei. Wir fahren nach ihrer Beschreibung, ich suche und frage mich mit ihrem selbstgeschriebenen Zettel, den ich einfach vorzeigen soll, durch. Der Container, der ein Buchladen sein soll ist natürlich zu. Sein Nachbarcontainer,ein Spielcasino, ruft für mich wen an und sagt mir es sei geschlossen und morgen vielleicht auch. Na dann eben direkt zur Polizei. Ich muss um das düstere Gebäude erst herum und versuch irgendwo ein Polizeimerkmal zu erkennen, leider ist alles auf kyrillisch geschrieben. Ich trete in dem üselligen Gebäude durch eine ziemlich dunkle Tür in einen unbeleuchteten Gang und will gerade umkehren, da erkenne ich am Ende sowas wie einen Schalter, wohinter tatsächlich ein Polizist es sich mit seinem Handy gemütlich gemacht hat. Er kann nicht ein Wort englisch. Und versteht so überhaupt nicht was ich von ihm will. Erst als wir irgendwie auf Dokumente kommen, zeigt er mir die hunderte von Stapeln an weißen kleinen ausgefüllten Papieren, ja die will ich. Nein, die hat er nicht (warum eigentlich nicht???) ich soll sie in dem Geschäft kaufen und er will auf Teufel komm raus nicht verstehen, dass ich da schon war. Ein Kollege soll bald kommen und ich gehe erstmal und hole den Rest der Familie. Der Kollege ist noch mürrischer als Nummer Eins udnd kann auch kein englisch. So bekommen wir erstmal eine Polizeieskorte zum Touristenbüro. Das Mädel kann wenigstens vermitteln und erklärt uns dann, wir sollen in einem anderen Geschäft die Papiere kaufen und dann wieder zurück zur Polizei. Na klar hat das Geschäft auch zu. Es regnet und wir haben jetzt echt keine Lust mehr uns den Tag mit solchen Bürokratiekram zu vermiesen. Am Ende des Städtchens kurz vor einem Wald befindet sich eine Camperwiese. Wir sind froh, dass es auf diesem einfachen Platz zumindest Strom gibt und parken neben einer holländischen, netten Familie. Und dort gibt’s dann auch die ersehnten Papiere.
Die Campingwiese liegt genau vor dem großen Massiv des Nationalparks und schon allein diese Aussicht auf die Berge entschädigt viele Strapazen. Wir fühlen uns ziemlich wohl hier, obwohl es keinen Schatten hat, nur zwei Toiletten für alle und wir die Mädels sofort in Matschhosen stecken, da die Wiese schon recht durchregnet ist. Doch noch scheint dat Sönnsche und wir lassen die Zwei in den Pfützen rummatschen und versuchen nicht darüber nachzudenken, dass die Beiden eigentlich keine Wechselsachen mehr haben, irgendwas findet sich immer noch. Wir sind hungrig, da kommt die nette Dame mit ihrem selbstgemachten Käseblätterteigkuchen gerade richtig. Ich versteh zwar kein Wort was sie da sagt, aber es duftet aus ihrem Korb und wir lassen alles Gemüse stehen und liegen, schalten den Herd wieder aus und stürzen uns auf das leckere, herzhafte Gebäck, von dem ich bis heute noch gerne träume.
Nachdem am nächsten Morgen die fastletzten Klamotten vermatscht werden und Susannas ehemals wasserdichten Matschüberschuhe bald den Geist aufgeben und sich mit Wasser und Schlamm vollgesogen haben, stecken wir die Beiden einfach in die Tragen und wandern drauf los. Eine schöne Wanderung um den nahliegenden See. Maja will schon nach kurzer Zeit aus der Trage und findet immer mehr Gefallen am Wandern über Stock, Steine, Wurzeln, Treppen. Und die Wege bestehen spannenderweise nur daraus. Wir kommen zwar nicht schnell voran aber sind froh, dass Maja das Wanderns Spaß macht, was sie auch alles genauestens kommentiert. Ein Platzregen überrascht uns bei einer Pause und zu Viert plus zwei Tragen quetschen wir uns in eine zwei Quadratmeter große Unterschlupfhütte. Der Regen hört auf, aber das Donnern begleitet uns weiterhin und in den Bergen hört sich das schon sehr gruselig an. Wir wollen Maja nicht den Spaß verderben udn halten geduldig die garuschwarzen Wolken über dem Massiv aus. Kaum am Bus angekommen geht das Unwetter los und hält mit Regen und Sturm den gesamten restlichen Tag an. Wir haben derweil einen lustigen Aufenthalt auf der Matratzenspielwiese im Bus, essen und naschen dort, toben und turnen, lesen, kuscheln und erwecken die Kuscheltiere zum Leben. Es wird einer unserer unvergesslichsten, schönsten Tage. Selbst als die Sonne wieder rauskommt, bleiben wir drin, weil es einfach gerad so schön kuschelig ist und wir uns bewusst werden, dass die Tage im und um den Bus herum gezählt sind. Die Wiese ist sowiso ein einziges Schlammloch unter Wasser und man kommt nicht trockenen Fußes zur Toilette. Wo schon vorher Chaos war im Bus wird’s nun zum dreckigen Chaos, denn nun müssen auch noch matschige Schuhe drin Platz finden draußen werden sie wieder nassgetröpfelt. In Sarajevo haben wir in einen Regenschirm investiert, mann war das schlau von uns! Obwohl wir dachten wir machen es wie Maja, die ihre Regenhose nur anzieht „damit es nicht so regnet“.
Wir würden ja gerne bleiben, aber Susanna hat nun wirklich nichts mehr zum Anziehen für dieses Wetter und auch bei Maja müssen wir gut kombinieren. Außerdem denken wir so langsam an eine Kehrtwende. Auch Albanien ist von unserer Zielliste gestrichen, da wir keine Energie mehr haben schon wieder in ein neues Land mit neuer Kultur und völlig unvorbereitet einzutauchen. Wir schwenken also langsam um. Und aus langsam wurde sofort.
Nachdem wir in Zabljak ganz unverhofft auf einen neuen Buggy stoßen, der von Beiden heißbegehrt ist, machen wir eine Abstecher über die Tara-Schlucht, die uns so oft empfohlen wurde. Mit dem Kanu ist die bestimmt faszinierend, doch von der Straße aus kann man nicht viel von dem türkisen Fluss da unten erkennen und vor lauter Natur sehen wir nur dichtbewaldete Berge. Es ist lang her, dass wir so einen entspannte Busfahrtag hatten. Links und rechts die grüne Natur mit schönen Bergen, über uns der blaue Himmel, die Straße ist gut ausgebaut und meistens geht es eher bergab. Ich schreibe derweil weiter an Tagebuch und Reisebericht und sinniere vor mich her. Die Wasserflaschen haben alle hier irgendeine höchst philosofische Nachricht aufgedruckt und ich muss über eine nachdenken, die besagt, dass man das Leben als Wunder ansehen soll, wenn man überlegt wieviele Möglichkeiten es gibt, welche Wendung das Leben in der nächsten Sekunde haben könnte. Ich denke darüber nach wie zerbrechlich eigentlich die Zukunft ist und man naiverweise annimmt, es geht schon so weiter wie man denkt, dass es weiter geht. Aber so vieles könnte passieren. Tut’s zwar nicht zu 99% aber manchmal schon. Komisch genau das kurz vorher zu denken,
Wir sehen endlich ein Schild mit einem Campinplatz und nach der nächsten Kurve müssen wir links in eine Schotterstraße einbiegen, wo dann in 50 Metern der Platz sein soll. Wir lassen den Gegenverkehr durch und ich schaue mir die Stände der Obstverkäuferinnen an auf der gegenüberliegenden Seite. Hinter uns bildet sich eine Autoschlange. Matthias guckt noch in Rück- und Seitenspiegel und möchte in die Einfahrt einbiegen. Ich recke mich schon vor, ob ich den Platz sehen kann. … Irgendwie weiß ich von den nächsten Sekunden nur noch Bruchteile. Es ging so schnell. Ich erinnerne mich an einen laut scheppernden Knall und einen Ruck, der mich zu Tode erschrickt und mich durchschleudert. Der Bus wird um 180 Grad herumgeschleudert und wir kommen auf der Schotterpiste zum Stehen. Ich gucke in erschrockene Gesichter des ersten Autos in der Autoschlange und bin selber heiß erschrocken. Voller Angst. Schnell lösen Matthias und ich uns aus der Schreckstarre, ein Blick nach hinten verrät, dass das Etwas nicht den gesamten Bus hinten abgefahren hat, so wie ich dachte. Maja schaut mich mit großen Augen an. Gottseidank! Keiner sagt eine Ton und mir laufen weitere Angstschauer über den Rücken. Susanna! Ich bekomme den Gurt nicht so schnell gelöst, die Tür nicht schnell genug auf, die Schiebetür scheint ewig schwer, endlich bin ich bei den Kindern und auch Susanna schaut mich nur mit großen Augen an. Mir fällt ein Stein vom Herzen, es geht ihnen gut, doch in mir brodelt eine verzweifelte Wut auf, wie ich sie noch nie verspürt habe. Matthias und ich zischen ab nach hinten. Ein alter yugoslavischer Kleinlaster mit Baumstämmen beladen steht da und ein gerade mal 20jähriger steht daneben. Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie jemanden so angeschrien und mir so Luft machen müssen. Auch Matthias ist außer sich wie noch nie. Sofort schnappe ich mir Susanna und Maja auf den Schoß im Bus. Die drei Frauen der Obststände sind sofort herbeigeeilt und entpuppen sich als die wahren Retterinnen des Tages. Mir rinnen die Tränen über’s Gesicht, da ich noch nie solch eine Angst um meine Kinder verspürt habe. Mehrmals versichere ich mich ob es ihnen gut geht und gebe beide nicht her. Matthias ist bei uns sowie die drei Frauen und auch der bleiche junge Fahrer versichert sich, ob es den Kindern gut geht. Er lässt alle Schimpftiraden über sich ergehen und die Obstverkäuferinnen bringen ein wenig Frieden herein. Sie holen mich mit den Kindern heraus und setzen mich mit den Zweien auf einen Stuhl bei ihnen. Es dauert nicht lange, da heitert die alte Frau uns auf. Maja und Susanna lassen sich von ihr necken und dankbar nehmen wir ihre Pfirsiche an. Ich habe keine Ahnung, wie es dem Bus geht. Aber ich bin mir sicher, dass er voll Schrott sein muss. Gott sei Dank habe ich mich geirrt. Es ist ein Wunder, dass wir nur diese Riesenbeule hinten an der Ecke haben haben, selbst die Lichter sind nur von außen kaputt und wie wir später feststellen, lässt sich sogar die Heckklappe problemlos öffnen und schließen. Die Polizei ist sehr freundlich und wir versichern uns auch mehrmals nach, ob es dem jungen Mann gut geht, da er ziemlich geschockt aussah. Wie mir später Matthias auf einem Foto zeigt, fahren wir keinen Bus sondern einen Panzer. Der Transporter hat die komplette Front völlig eingedellt und auch das Innere hat es so getroffen, dass Öl auslief und er nicht mehr fahren konnte. Auch heute noch verfolgen mich diese Bilder und Gefühle und wir schaffen es nicht zu rekonstruieren was da eigentlich passiert sein muss. Denn der Laster war nicht hinter uns. Er muss um die Kurve gekommen sein und er muss aus irgendweinem Grund die Autoschlange komplett überholen. Es gab weder ein Quiteschen noch Bremsspuren. Er ist ungebremst in uns hinein gerast und hat uns zu unserem Lebensglück weder bei Susanna noch bei Matthias an der Fahrerseite getroffen. Die gesamte Unfallenergie ging ins Zerbeulen von Blech und Stahl des Lasters und in die Schleuderdrehung des Busses. Ansonsten hätte es düster ausgesehen und ich mag gar nicht zu viel darüber nachdenken.
Nachdem alles aufgenommen wurde und der Fahrer auch sofort die Schuld eingestanden hat bei der Polizei, können wir uns auf den Weg zum Campingplatz machen. Die jüngere Obstverküferin stellt uns eine ganze Tüte Obst vor die Nase, ich mache mich mit den Kindern zu Fuß zum Platz, denn auch wenn ich erleichtert bin, dass er noch läuft, so tun ein paar Schritte zu Fuß ganz gut. Als wir sehen es gibt dort auch Zimmer zu bezihen, zögern wir nicht lang, da wir keine Lust auf viel Rumpacken haben. Wir sind wirklich mitgenommen, Matthias und ich. Mich beschleicht immer wieder diese Heidenangst, die ich hatte, dass den Kindern was passiert ist und auch Matthias ist noch bleich um die Nase. Maja und Susanna bekommen natürlich mit, dass Mama und Papa etwas durcheinander sind. Maja hat mich auch schon in den Arm genommen, damit ich nicht mehr so traurig bin. Das Leben ist so zerbrechlich und kann in jeder Sekunde eine Wendung bekommen mit der man nicht gerechnet hat. Also nicht warten oder zaudern, aufschieben oder auf später verschieben. Das Leben könnte einen jetzt schon glücklich machen.
Am nächsten Tag brechen wir also unseren Heimweg an. Der ist zwar noch mindestens 2000 Kilometer lang und wir haben noch drei Wochen, aber wir machen kehrt. Ein gutes Gefühl. Um 10 Uhr am nächsten Tag erwartet uns der junge Fahrer, erkundet sich nach unserem Befinden und führt uns zu seiner Versicherung in der Haupstadt Podgorica. Es dauert fast eine Stunde bis Matthias wieder zurückkehrt, mit dem Versicherungsmann, der mit seiner kleinen Billigkamera ein paar Fotos macht, schmunzelnd sagt, ach in Montenegro ist das nur ne kleine Beule, und mit Matthias wieder eine halbe Stunde Papierkram macht. Der weigert sich klipp und klar das 0-8-15-Protokoll zu unterschreiben, nachdem wir den Schaden mit 500 Euro ersetzt bekommen hätten. „Dafür kann ich mir in Deutschland den Schuh aufblasen lassen. Dafür kommt noch nichtmal einer und schaut sich den an!“ Der Mann muss lachen und bestätigt, dass in Deutschland die Reparaturen schon recht hoch sind. Wir entscheiden uns für die Möglichkeit, in usnerem Land einen Kostenvoranschlag machen zu lassen und dann auf deren Entscheidung zu warten, wieviel sie davon zahlen.
Jetzt soll es aber so schnell wie möglich aus diesem Land raus gehen. Und ans Meer. Das Berliner Pärchen hat uns von Molunat vorgeschwärmt und wir geben das bei usnerer Steffi ein. Wir fahren an der Küste entlang, an neumodischen Badeorten vorbei, fallen in ein kleines, unscheinbares aber wunderbar, gelegenes Restaurant ein mit tollem Blick über die schöne Buchten Montenegros, setzten bei Kotor mit der Fähre über, passieren einen kleinen Grenzübergang, ohne dass sich jemand für die hart erkämpften Dokumente interessiert und direkt dahinter liegt Molunat. Ein kleines verschlafenes Dörfchen in einer Bucht. Das Meer ist klar türkis, der Campingplatz mit viel Schatten liegt terassenartig in der Bucht und liegt direkt an dem kleinen 2 Meter engen, feinen Kiesstrand. In die Bucht passen nicht viele Fahrzeige und Menschen, so dass es kein touristenüberströmter Urlaubsort ist. Kaum ein Ort passt jetzt besser zu uns wie Molunat und wir entscheiden, ein paar Tage hier zu verbringen um wieder zu klaren Gedanken, Erholung und Wohlgefühl zu kommen. Die Fahrt hierher war noch so von verrückten, rübpelhaften Stunt-Überholvorgängen übersäht (ein Motorradfahren hat beim Überholen einen Wheely gemacht während er auf uns zu raste), dass wir richtig durchatmen, als wir die Grenze passieren.
Eigentlich dachte ich, ich könnte die Tage in Molunat in ein paar Worten noch hier in den seitenlangen Artikel unterbringen. Leider zu früh gefreut. Natürlich macht uns der eigensinnige Bus nochmals den Ein oder Anderen Strich durch die Rechnung. Molunat bekommt einen eigenen Bericht in der Hoffnung eines Tages doch noch weg zu kommen.