Endlich mal wieder nen Pulli anziehen! Und wo verstauben noch gleich die Regensachen? Uns geht‘s richtig gut in dem frischen Regen-Sonne-Mix, der Susannas Geburtstagsspaziergänge mit ihrem Laufwagen am Abend begleitet. So schnell wie dieses Mädel dazulernt, kommt man gar nicht mehr mit. Kaum hat sie einen Laufwagen, hat sie auch schon alle Spielelemente rausgefunden, sammelt Gras und Steine drin und kann das ungelenkige Ding offroaden wie der Papa. Auf einmal hangelt sie sich von Laufwagen zu Tisch zu Stuhl zu Bobby-Car setzt sich drauf und heut hat sie sich schon selbst angeschoben. Vorwärts. Das Gleiche geht auch mit einer Wippe, einem Klettergerüst oder unseren Beinen. Wahrscheinlich ist sie nicht die erste Einjährige, die das alles so kann. Aber nach einer geduldsamen Maja, die einfach als Beobachterin wartet bis sie etwas kann und ihren Erfolg dann umso intensiver auskostet, ist Susanna eine Macherin, die gar nicht genug bekommt vom Learning-by-doing, und wir stehen da und staunen Tag für Tag. Susannas Geburtstag beenden wir auf dem Campingplatz mit Ostblock-Charme neben Sarajevo, wo wir einen schattigen Stellplatz finden etwas abseits der wenigen Wohnmobile. Majas Geburtstag beginnt dort ohne Zecke, dafür mit Sonnenschein, Schokokuchen, Kerzen ausblasen, Geschenke auspacken und seitdem wird nun alles mit ihrem neuen Werkzeugkasten und Bohrmaschine professionell gerichtet. Bevor Susanna ihren Wagen fahren darf, müssen erst die Schrauben nachgezogen werden, an ihrem neuen Biene Maja-Blumenauto wird geschraubt, gesägt, gehämmert und das Bobby-Car, die Kiiese (Markise), der Kinderwagen sind grundsätzlich auweiah kaputt. Aber auch die Wippe musste heut mehrmals repariert werden, danach hatte sie auch noch Bauchweh (ja, die Wippe!) und bekam eine Massage mit Wasser, Fleischwurst als Medizin und musste mal mit einem Feuchttuch richtig sauber gemacht werden. Die Zwei bekommen heut einen entspannten Tag mit viel Spielplatz, Kuchen, Spazieren, Spielen mit und ohne Regen, Gewitterpause auf der Turnmatratze und nur Matthias mus ein oder zweimal abdampfen nach einem Internetpunkt suchen, um unseren Baustart weiter anzutreiben.
Ein deutsches weißes, Riesenschiff parkt auf dem Platz mit drei völlig sauberen Kindern. Wie geht das?? Die Familie ist schon seit März unterwegs in Spanien, Frankreich, Italien bis in den September hinein wollen sie noch bis nach Polen. Und immer noch nehmen sie sich Zeit die Kinder vor dem Fernseher zu setzen (ja ja, ist ja nichts Schlimmes), um den schon weißen Caravan nochmal zu waschen. Und wir sind froh um jeden Sahara-Dreck, damit sich eben niemand für unseren Bus interessiert. Unsere Stühle werden improvisorisch mit Panzertape als Rückenlehne repariert, wir tun alles um sie noch durch diese Reise zu bringen. Das Einzige was wir einmal gewaschen haben ist unser Kinderwagen, in dem Susanna ihre Fingerfood-Mahlzeiten mit Leib und Seele und Händchen auskostet. Ach hätten wir ihn doch vergammeln lassen, den Wagen! Am nächsten Morgen schauen wir aus dem Fenster… wieso steht den unser Stuhl da so weit weg? Uns schwahnt was. Fehtlt dort vielleicht was? Ja. Der Kinderwagen. Geklaut. Nicht nur, dass er von großem Nutzen war, er hat auch ideellen Wert, wo der schon alles rumkurven musste und wir uns wunderten, dass das unstabile Ding das alles mitmacht. Ich hoffe, derjenige, der ihn nun hat, hatte es bitter nötig, Kindern so was wegzunehmen. Wir sind echt sauer. Und froh, denn Majas Bobby-Car, die Spielsachen oder unsere marokkanische Stimmungslampe wären weitaus schlimmer gewesen, geschweige denn ein Einbruch in unserem Bus. Nach diesem Warnschuß, ist unsere erste Aktion also, dass wir den Bus so nah wie möglich an die Rezeption stellen romantisch zwischen den anderen Wohnmobilen, alten Waschbecken, Bauschutt, Spielplatz und Stromhäuschen.
Danach geht es endlich los in die Stadt! Den Bus lassen wir schön bewacht da stehen und wandern durch eine halbverlassene Siedlung zur Tram. Wie wir schon erfahren haben, fährt die nicht sondern ein Bus soll uns weiterbringen. Nachdem wir versucht haben aus der bemühten Frau am versteckten Ticketschalter weiteres herauszufinden, steigen wir einfach in den Bus in den alle einsteigen und steigen da aus wo alle aussteigen, folgen allen zu der Tram, wo wir alle einsteigen und mit lautem Geratter rüttelt uns die alte Tram aus den Fünfzigern oder so durch Sarajevo. Maja ist mucksmäuschenstill und staunt nur „Die ist ganz schön laut, die Eisenbahn!“. Susanna ist ebenfalls ganz ruhig und schaut gebannt nach draußen. Auch ich bin ganz still und schaue raus, denn es ziehen alle Möglichen Gebäude in den verschiedensten Zuständen an uns vorbei. Von grauen Hochhausplattenbau von Schusseinschlägen zerlöchert wie ein Schweizer Käse mit fröhlich, knallbunter Wäsche auf den Balkonen über Mc Donalds, Fünf-Sterne-Hotels, ein 80er-Jahre Holiday Inn, ganz alten Gebäuden mit neuem Putz oder ganz alten Gebäuden mit abbröckelnder Fassade und vielen Wunden. Mir schwirrt immer wieder der grausame Absatz aus dem Reiseführer bei Sarajevos Kriegsgeschichte durch den Kopf: „The Bosnian Serb commander is reported as having said ,Shoot at slow intervals until I order you to stop. Shell them until they can‘t sleep, don’t stop until they are on the edge of madness‘ “. Die meisten Wunden der Häuser werden mit Mörtel und neuen Putz restauriert. Beim Anblick der noch nicht verarbeiteten Fassaden kann man sich vorstellen wie tief verwundet die Seelen der Menschen hier sein können. Wunden, die wir gar nicht mehr sehen und die man nicht mit Mörtel und Putz bereinigen kann. Eine Frau sitzt neben uns. Sie lächelt verhalten die Susanna an, die andauernd nach draußen zeigt: „Da! Da! Da!“. Irgendwann zeigt sie auf den Arm der Frau „Da!“ Ganz leicht kann man dort noch Narben erkennen, Schnitte und als ob man Zigaretten dort ausgedrückt hätte. Susanna lächelt die Frau an und streichelt den Arm. Während Maja unsere Philosofin ist, ist Susanna unsere kleine Heilerin, mit einem großen Herz für Tiere, Menschen und kranken Bäumen.
In der Altstadt steigen wir aus und schieben uns an Tauben, Menschen und Souvenirläden vorbei auf der Suche nach den verheißungsvollen Märkten ähnlich wie die arabischen Souks, so der Reiseführer. Sogar bei der Tourist Information fragen wir nach und werden einmal quer durch neumoderne Altstadt mit Cafés, Bars und den bekannten Shoppingläden mit den neuesten Trend-Klamotten geschickt. Na das können wir auch in Köln haben. Nur die Moschee, in dessen Vorhof wir wie so manch anderer Torist trottelig hineinstolpert, auch noch auf der Seite für die Frauen, gibt uns das Gefühl wieder im Orient zu sein. Auch wenn wir eingeladen werden, die Moschee zu betreten, haben wir das Gefühl zu stören und respekieren die kleine Privatsphäre der betenden Männer und Frauen. Wo sind denn jetzt diese Souks? Auch ein Deutscher auf dem Campingplatz schwärmte uns von den orientalischen Gassen vor, wo noch in Handarbeit gehämmert wird. In der heißen Sonne schlendern wir ein wenig in den alten Gassen rum, flüchten mal wieder vor einem Gewitter in ein kleines Café und bestellen Minztee und Baklawa. Hmm. Wir beschließen, dass man als Souk-Profi, die gerade aus den arabischen Souks kommen, die soukähnlichen Gassen von Sarajevo nicht als Souk erkennt, weil dort kaum noch einer selber Hand anlegt und es hinter den Touri-Souks nicht noch urigere Souks gibt sondern nur die Hauptstraße. Macht nichts, denn wenn man das einmal akzeptiert findet man plötzlich doch noch den Ein oder Anderen Handarbeiter in einer versteckten Gasse und ich muss kurz mit meinem Schokoeis und den zwei Mädels vor der Tür bleiben, weil ich ja auch noch bald Geburtstag hab, sagt Matthias. Das wird ein spannendes Geschenk, ich freu mich jetzt schon drüber, wir müssen morgen nochmal hier rein, um es abzuholen. An der Tram freunden wir uns mit zwei jungen Frauen an, die sich zunächst mit unseren zwei Blondschöpfen anfreunden und die uns den gesamten Tram- und Busweg begleiten und uns Einiges erzählen. Jamail und Bena (so ähnlich klingen ihre Namen) werden zu einer unseren schönsten und interessantesten Begegnungen der Reise, und alles nur wegen einer alten Dame deren einziger englischer Satz der zwischen einem Schwall bosnischer Worte herauskatapultiert wird„Give me money!“ ist, und Bena, den viel freundlicheren bosnischen Rest übersetzt. Jamail und Bena sind bosnische Muslime und gerade ist Ramadan, das heißt nichts essen und trinken bis um 20h30. Wir bewundern die Zwei, die den ganzen, heißen Tag auf Shopping-Tour waren, aber sie meinen es sei gar nicht so schwer. „Like with everything. When you do it with your heart, it’s easy.“
Wir versuchen danach unsere zwei Mädels mit Herz in die Tragen zu setzen, im Supermarkt noch eine schwere Tüte voller Lebensmittel einpacken und alles nochmal ein ganzes Stück mit Herz zum Bus zu tragen. Sie wiegen dennoch viel.
Von Jamail und Bena haben wir einige Tipps bekommen für den nächsten Tag, doch zunächst wollen wir am Vormittag einen Mann besuchen, der aus seinem alten Haus ein Museum errichtet hat. Ein mutiger Mann, der zur Kriegszeit als die bosnischen Serben Sarajevo komplett abgeschirmt haben und die Stadt bombadieren, anfing mit seinen Kumpels über vier Monate einen 800 Meter langen und 1,60 Meter hohen (man kann also nicht aufrecht stehen) Tunnel von seinem Haus zu graben unter den Flughafen durch zu einem anderen Wohnhaus einer älteren Frau. Durch diesen Tunnel wurden Essensvorräte und Waffen nach Sarajevo geschmuggelt, die Frau empfing die Männer, die an die 50 Kilo auf ihren gebückten Rücken trugen mit einer Tasse Wasser. Das total zerschossene alte Haus ist nun ein kleines Museum, wo man selber ein paar Meter durch den engen Tunnel gehen kann und nochmal durch Film, Fotos und Ausstellungstücke einen Eindruck von vor 20 Jahren bekommt. Selbst berühmte Hollywood-Darsteller sowie Michael Palin waren schon hier und haben sich in dem Buch verewigt, bestimmt aber nicht so kreativ wie Maja.
Am Nachmittag machen wir uns wieder auf den Weg mit Bus und Tram nach Sarajevo rein, wo Matthias glücklich, grinsend aus dem Handwerksladen rauskommt, Maja so lange für ihr Schokoeis braucht, dass wir es nicht mehr in die neuaugbegaute, ehemalige Bibliothekl schaffen, wir dafür ein paar Läden und ein Restaurant unsicher machen und uns dann am Abend mit viel Motivation, Herz und den mit den Kindern auf dem Rücken den Berg hochschleppen, da dort das Ramadan Festival stattfinden soll. Jeden Abend haben wir uns schon gewundert, was denn so spät plötzlich rumgeknallt wird, gerade hier in Sarajevo doch irgendwie nicht sehr feinfühlig. Aber es sind die Muslimen selbst, die das allabendliche Fastenende mit einen Kanonenschuss einläuten. Hinter der Tram-Station erklimmen wir eine kleine, steile Straße an uralten Holzhäuschen vorbei, die zu kleinen Teehäuschen und Handwerksläden um funktioniert sind. Das macht Sarajevo hier in der Altstadt so aus: die kleinen, niedrigen Häuschen mit den breiten dunklen Dächern, die mir wirklich sympatisch sind. Wir überqueren einen Friedhof am Berghang übersäht mit vielen kleinen, weißen Steinsäulen. Alle tragen ein Todesdatum mit 1993 oder 94. Die letzten Meter quetschen wir uns an ankommenden Autos, die in der Enge noch einen Parkplatz suchen und anderen Leuten vorbei erklimmen eine steinerne Treppe und landen auf einem kleinen Wiesenstück auf einer Mauer, wo ein Caterinservice hungernde Muslime versorgen will und wo das kanonenartige Schusskaliber schon für seine Einsatz vorbereitet wird. Der Platz ist jetzt schon überfüllt mit Familien und Picknickgästen. Alle diejenigen, die sich nicht auf das Catering einlassen, schleppen stapelweise Pizzakartons mit. Wie gut, dass wir schon gegessen haben, denn hier auf dem Ramadan-Festival riecht es lecker nach italienischem Pizzaabend. Wir machen uns ein wenig Sorgen, dass der laute Kanonenknall unsere Kinder erschrickt oder zu laut ist und so halten wir uns bei den Treppen auf, Maja hüpft die Stufen runter und wir beobachten die ganzen Familien, die noch da oben mit ihren Pizzen rein wollen oder die Autohupkonzerte, weil ein jeder noch irgendwie auf dieser sowiso schon engen Gasse parken oder umdrehen will. Hungrige Menschen fahren schlecht Auto müssen wir feststellen und ein paar Mal müssen wir uns und Maja retten vor wildgewordenen Mopeds oder Autos. Ansonsten ein fröhliches, herrliches Gewusel, dass ganz plötzlich von zwei lauten Kanonenschüssen unterbrochen wir und wir gar nicht dazukommen der Maja die Ohren zuzuhalten. Gottseidank war es bei usn etwas lärmgeschützt. Neben uns das blasse Mädchen nimmt endlich dankbar das Brot und Wasser von ihrem Vater an, der ihr es schon öfters angeboten hatte, sie aber absolut durchhalten wollte. Überall werden Wasserflaschen ausgepackt und an Ort und Stelle die Pizza ausgepackt. Man sollte meinen, jetzt stürze man sich heißhungrig auf’s Essen, aber es bleibt ganz gesittet und viele warten auch noch und unterhalten sich weiter. Wir müssen endlich zurück, den Berg runter während der Himmel von Rosa ins Dunkelblau übergeht und wir wunderschöne Ausblicke über Sarajevo genießen. Als wir in die Tram einsteigen ist es tiefdunkel. Zu Majas Entzücken nehmen wir uns nach der Tram ein Taxi, weil uns der Weg zwischen Bahnhof und Campingplatz doch zu düster ist.
Die nächste Etappe wird Montenegro sein, wobei wir mit Bosnien noch nicht fertig sind, wir behalten uns noch was für den Rückweg auf und fahren nun erstmal in die tiefbewaldeten Bergen mit ihren klaren türkisblauen Flüssen.
Vier Tage später. Wir kehren um. Nach Hause. Das wollten wir sowiso so langsam, doch wir wurden heftigst ausgebremst und nun gehts etwas direkter. Ein Unfall „nur“ mit Blechschaden, von dem wir noch nicht wissen, ob der Bus wieder reparabel ist, überzeugt uns den Weg nach Hause anzutreten. Uns gehts allen gut, der Bus läuft noch, ein Riesenschreck steckt in unseren Knochen und eine krasse Beule an der linken, hinteren Ecke am Bus. Den Kindern gehts super, sie toben gerade neben mir und testen das Hotelzimmer auf Spielzeugumherstreubarkeit aus. Matthias und ich sind immer noch etwas geschockt, wütend auf den schuldigen Fahrer und vor allem traurig, dass die Reise ein solches Ende findet. Naja, noch geben wir uns zwei bis drei Wochen, und uns eine Chance, der Reise ein besseres Ende zu schenken.