Jetzt bin ich es, der es etwas übel ist. Aber auf dem Campingplatz bleiben ist noch schlimmer. Lieber will ich das erste Mal Piste fahren, da gehts mir bestimmt viel besser. Alle schwärmen von den tollen Zedernwälder und den riesengroßen Bäumen sowie den Äffchen, die einem aus der Hand fressen. Doch wir wählen die einstündige Tour durch das Felsental, auch Maja will lieber Bus fahren. Das war eine geniale Idee und anfangs richtig aufregend, denn obwohl der Weg recht gut zu fahren ist, muss Matthias das ein oder ander Mal seine Offroad-Talente ausgraben. Auf halber Strecke kommen wir an einem ausgetrockneten See vorbei, wo eine Nomadenfamilie nun Feldbau betreibt. Alle kommen aus den Lehmhäusern gerannt und winken uns hinterher, auch später als wir an weiteren Nomaden vorbeirattern, laufen uns die Kinder hinterher, einfach nur um zu winken. Und nicht um Steine zu werfen, wie so viele Reiseführer berichten. Sehr krass, wie die Familien hier wohnen, in flachen, improvisierten Lehm- oder Steinbauten mit viel Planen und Eseln. Wir machen Rast an einem See, zwischen anderen marokkanischen Familien, die alle ihren Sonntag nutzen um irgendwo ihre Picknickdecken auszubreiten. Unser Bus muss herhalten als Fotokulisse und Susanna und ich erleben unseren ersten Eselsritt während Maja lieber beide Füße am Boden lässt. Und dann fahren wir doch noch eine kleine Tour durch den schönen Zedernwald und schauen uns von Weitem die lustigen Affen an. Wandertag mit Bus, wenn’s einem schlecht geht wohl die beste Alternative.
Am nächsten Morgen müssen wir uns von unseren spanischen Nachbarn (und somit vom köstlichen frischen Kaffee am Morgen) verabschieden und nehmen den Weg über den mittleren und den Ausläufern des hohen Atlas Richtung Midelt. Wir alle fühlen usn wieder wohl, nur Maja hat noch ein wenig Durchfall. Es geht viel schneller als wir denken durch ganz schön spektakuläre Naturkulissen. Nach einem 2000er Pass erreicht man ein Plateau zwischen den beiden Gebirgsketten. Der Frühling lässt die Ebenen grün leuchten und die Wiesen sind voller Mohn, lila- und weißfarbenen Blumenfeldern zwischen kargen gelbbraunen Bergen. Midelt ist nach etwa zwei Stunden erreicht und nach einer knappen Pause ziehen wir weiter, weil es uns hier zu heiß und karg ist um den Resttag zu verbringen. Vor dem nächsten Pass erinnert uns die Landschaft eher an die südlichen Anden: kahl aber voller gelber, brauner, roter, lilaner Farbtönen. Und voller Kurven, Maja ist langweilig und es hilft nur noch die Kindermusik, so dass wir mit einer lauten Dröhnung „Aramsamsam“ und „Die Räder vom Bus, die rollen dahin…“ über den Atlas trudeln. Die Landschaft wird spektakulär, die Berge neben uns noch kahler, so dass sie ein wenig wie mit samtigen Muster überzogen wirken, die späte Sonne zeichnet schöne gleichmäßige Schatten und dann folgen Schluchten, Wüstendörfer, tiefe kraterähnliche Täler, wo man dachte, die Steinwüste geht eben weiter und in diesen Tälern ein Meer an Palmen und lehmfarbene Häuser, die an den Wänden der Krater kleben. Unser Ziel ist die „source bleue de Meski“. Dort gibt es laut Hochglanzmagazin, in das wir kurz reinschauen durften, den schönsten Campingplatz der Welt. Na, so einen Superlativ, wollen wir uns nicht entgehen lassen. Und mit einem Mal beginnt das Abenteuer im Abenteuer. Wo ich jetzt hier sitze mit dem Saharasand auf meinen Tasten und zurückrechne ist es erst vorgestern also Montag gewesen, dass wir in der Oase Meski einfielen. „Erst“ ist ein seeeehr relatives Wort…
Es gibt halt nur diesen eine Campingplatz in dieser Gegend und die Kinder sind nun auch durch mit der langen Fahrt, doch wo ist dieses Meski, wo sind wir eigentlich und wann sind wir endlich da? Nach einigen Orientierungsproblemen biegen wir endlich ein und ein Schild führt uns einen wunderschön gepflasterten, steilen, engen Abhang hinunter. Mit großen schönen Schildern wird diese blaue Quelle in der man schwimmen kann angepriesen und wir sind voller Vorfreude auf ein paar Tage hochtouristischen Komplex mit Pool, gutem Essen unter schattigen Palmen. Wir rumpeln um die Ecke und sind mit einem Mal in Afrika. Ganz unerwartet tauchen wir ein unter Palmen in ein modriges Terrain mit vielen dunkelhäutigen Menschen, die uns ernst und neugierig beobachten. Trotz strahlendem Sonnenschein wirkt die Atmosphäre düster. Der „Campinplatz“ ist der matschige Platz quasi mitten im Dorf, ein paar wenige Abenteurer-Camper können wir entdecken. Sofort empfängt uns ein Afrikaner mit Turban und zeigt uns den Platz wo wir auf dem Mini-Camping stehen bleiben können. Unser erstes Gefühl ist „Flucht!!!“ aber wohin? Ich steige aus und ein schwühler Geruch empfängt mich, der uns immer wieder um die Nase weht. Matthias sagt, es riecht nach Zentralamerika, ich finde es ist ein Mix aus Schlamm, Erde, Müll, Wärme, Verbrannten und Palmen. Ich hol die zwei Mädels heraus und schon stürmen 1001 Fliegen in unserem Bus, so dass ich kaum noch rauskomme. Matthias wurde entführt. Der Turban zeigt ihm einmal die Oase und zu mir rollt ein einbeiniger Rollstuhlfahrer ohne Zähne, dennoch grinsend und fängt an den Kindern aus Palmenblättern kleine Tiere zu weben. Ich denke nur noch, nein bitte nichts anfassen, doch er ist zurückhaltend und naürlich bekommt er von uns ein Trinkgeld. Zwei Jungs wollen uns nun auch diese Tierchen verkaufen. Kann man uns nicht erstmal ankommen lassen? Matthias ist da und mir wird erstmal komisch, so dass ich mich irgendwo zwischen den Fliegen hinsetzen muss. So fühlt es sich an, wenn man zu schnell, zu plötzlich, zu unverhofft, die Komfortgrenze übertritt. Eher über sie stolpert. Na denn, dann muss ja auch irgendwann etwas Magie auftauchen und ich beschließe zu vertrauen. Matthias hat das Ganze etwas besser im Griff, obwohl ihm ebenfalls mulmig zumute ist. Den zwei neugierigen Jungs gibt er erstmal den Fußball zu spielen und auf einmal wird aus dem ernsten Erwachsenenblick ein strahlendes Jungengesicht, dass noch größere Augen bekommt, als wir Majas Autos zeigen. Es vergehen nur ein paar Minuten in denen ich kurz das schummerige Klo benutzen muss und wir sind umringt von einer Schar afrikanischer Jungs, die mit der Maja Auto spielen, sie auf ihrem Bobby-Car umherkutschieren und einfach nur Kinder sind. Plötzlich tauchen zwei ältere Jungs auf, die eine scharfe Diskussion mit den Kindern anfangen. Schon wieder sehr unheimlich. Doch auch hier wirkt der Fußballeffekt. Dieses „Juwel“ an Lagune ist vieles, aber bestimmt nicht der schönste Campinplatz der Welt, ganz im Gegenteil. Nachdem wir das Unwohlsein etwas abgelegt haben, erkunden wir die blaue Quelle. Das Schwimmbecken in das die Quelle aus einer leicht vermüllten Grotte fließt, ist total veraltet, der Putz bröckelt ab und durch das klare Wasser kann man die Fische und das Plastik erkennen. Da lassen wir die Maja noch nicht mal einen Zeh reinstecken zu ihrem Leidwesen. Mir wirds wieder etwas unheimlich, denn ich bin die einzige Frau die hier rumschlendert. Also versuchen wir Maja dazuzubewegen, ihr Bobby-Car wieder zum Bus zu lenken, wo uns ein lädierter Fußball empfängt. Offensichtlich, hatten die Jungs ein hartes Spiel. So sehr uns der Platz nicht gefällt, so muss man jedoch sagen, dass die Menschen dort alles tun, damit man sich willkommen fühlt. Mohammed und sein Turban-Kumpel sind unglaublich nett. Sie sprechen nahezu perfekt deutsch, alleine durch die Toristen, die auf den Platz kommen, haben sie diese Sprache gelernt. Mohammed erkennt sogar sofort Matthias‘ bayerischen Dialekt und die Zwei werden ziemlich gute Freunde, da beide verschiedene Dialekte aller Sprachen beherrschen. Susanna schläft schnell ein, doch Maja muss noch unbedingt mit uns auf die Tajine warten, die Mohammeds Familie für uns kocht. Es wird ein Mitternachtssnack und die beste Tajine der Welt für die wir uns selber aussuchen dürfen wieviel wir geben wollen. Obwohl wir uns eingewöhnen und Mohammed uns extra eine große Bastmatte für Susannans Krabbeleien hinlegt, undusn fürs Frühstück frisch gebackenes Fladenbrot bringt, wollen wir den matschigen Platz am nächsten Tag verlassen. Wir erfahren, dass es einige Tage zuvor ein großes Unwetter gegeben haben muss, angeblich über halb Marokko und die Wüste quasi unter Wasser stand. Durch alle Häuser sei der Regen reingeronnen, was bei Lehmhäusern eher von Nachteil ist. Deswegen ist auch der Platz hier so aufgeweicht, wir haben von dem Unwetter nur die paar erfrischenden Tropfen auf dem Weg nach Azrou mitbekommen. Und dann kam der magische Moment, wobei die Tajine auch dazugehört: als wir uns zu Bett legen, beginnen Mohammed und seine Freunde etwas weiter entfernt an wunderbar zu trommeln. Zusammen mit dem erdigen Geruch, das Rauschen der Palmen über uns, waren wir wirklich im tiefen Afrika und schliefen mit dem Klang der afrikanischen Trommeln ein. Am nächsten Morgen machen wir nur kurz einen kleinen Spaziergang durch die Oase, wo wir nicht nur auf Frauen, Männer udn Esel bei der Feld- und Oasenarbeit treffen, sondern auch hinter den verbrannten Geruch kommen, da hier keine Müllabfuhr hinkommt, wird in versteckten Bereichen kleine Häufchen an Müll einfach verbrannt. Wir werden dann von Turban, der jetzt keinen Turban mehr hat, freundlich auf einen Tee eingeladen in sein Souvenirladen der besonderen Art. Auf so eine typische Einladung haben wir ja auch noch gewartet. Er verspricht uns im Innern sei eine Grotte und das war nicht gelogen, der Laden geht hinten ins Gestein über und Felsen und Wände sind voll altem, antiken, gesammelten Kram aus ganz Afrika. Das Teetrinken ist hier eine Zeremonie und der gezuckerte grüne Tee schmeckt fantastisch. Dazu gibt’s afrikanische Musik, die er und seine Freunde aufgenommen haben. Natürlich gefallen uns einige Dinge, die seine Familie halb Normaden halb Berber selber in Handarbeit machen, und schon allein aus Gastfreundschaft wollen wir ihm etwas abkaufen. Aber halt! Hier wird nicht einfach gehandelt und bezahlt, nein, hier ist es Tradition, dass wir auch etwas von uns abgeben. Das könne alles sein, was wir nicht mehr brauchen. Schuhe, Babysachen, Handys, Laptops… Wir beschränken uns auf meine Schuhe, Babysachen und den megaunnützen Getränkehalter-Tischklammern. Matthias dampft damit wieder ab in die Grotte und ward nicht mehr gesehen. Mit gutem Verkaufstalent stellt Matthias den Tee der Marokkaner in die Halterungen und verkauft meine leider leicht kaputten Lieblingsoutdoorschuhe als Nike-Markenschuhe. Ich mit den beiden Pänz bleibe beim Bus und die werden unruhig sowie ich auch. Das kann doch nicht so lange dauern?! Ich male mir schon die schlimmsten Sache aus und mache mir echte Sorgen, ob wir hier heile wieder rauskommen. Eine halbe Stunde später kommt Matthias mit Mohammed witzelnd wieder zurück und wir sind bankrott. Nicht wirklich, aber war wohl eine ganz schön schwere Verhandlung für beide Seiten. Irgendwann wurde sogar Mohammed, der für seinen Freund rechnen und schreiben musste, ungeduldig. Dabei sagte er uns gestern stolz „Die Europäer haben die Uhren, die Afrikaner haben die Zeit.“ Und als Matthias geduldig handelte und meinte „Was denn? Ich denke wir haben Zeit!?“ Mussten beide lachen. Unser Fußball hat sich rumgesprochen, als wir losfahren, fragen neue Kinder nach unserem Ball, aber den können wir nicht hergeben, vielleicht brauchen wir noch öfters solche Eisbrecher und er ist der Maja heilig, auch mit wenig Luft.
Die nächste Station ist Merzouga, eine kleine Wüstenoase in der Sahara, wo ich momentan sitze und wir offensichtlich angekommen sind. Allerdings wie, dieses Abenteuer, eines der heftigsten Fahrten die wir je erlebt haben, das schreibe ich demnächst. Bonne nuit!