5) Survival days auf Skye


Skye wird auch “Misty isle“, vernebelte Insel genannt. Ach, wenn’s nur das gewesen wäre… Eigentlich wären wir beinahe nicht nach Skye gefahren. Aber “eigentlich“ ist an sich laut Bastian ja auch kein brauchbares Wort, wobei man “an sich“ eigentlich durchaus benutzen darf. Wie auch immer, da es an sich nur eigentlich ist, fahren wir also doch, nachdem wir alle anderen Alternativen (Loch Ness) wegen Schlechtwetteraussichten wieder über Bord werfen. Aber eigentlich soll’s überall schlecht werden. Und bleiben. Wir sind also jetzt nicht mehr nur „Five toes on the road.“, sondern mit unseren Reisefreunden Yvonne, Bastian, Moritz und Lotta von www.4x4overlanding.de zu neunt unterwegs. Was auch bedeutet vier Erwachsene, die die Planung der Reiseroute übernehmen. Einer hat gehört, dass… also Planung nochmal überdenken, welche Argumente wiegen wie schwer, was wollen wir wirklich, wer will was, was die Kinder, welches Wollen ist wie wichtig und wieviel Harmonie bleibt noch übrig, wenn…

Um nach Skye zu gelangen, entscheiden wir uns mit der Fähre von Mallaig aus herüberzusetzen, trotz Warnung, dass die Fähren schon lange ausgebucht sind. Egal, alleine die Fahrt bis an die Spitze einer Landzunge durch Berge, Fjorde, Wiesen, Rhododendronwälder, wilder Küste, an malerisch alten Steinbrücken, Burg und Smokehouse vorbei, wo wir uns mit allerhand köstlichen Lachsdelikatessen eindecken. Alleine die Anfahrt ist es schon wert nach Mallaig. Und dann haben wir in Mallaig gleich vierfaches Glück: wir finden zwei Parkplätze, einen großen Coop mit Lebensmittelauswahl, der berühmte Harry-Potter-Hoghwart-Express hält vor unserer Nase UND wir erstehen für den nächsten Tag noch zwei Tickets für die Fähre um 15 Uhr. Alles andere ist full und wir sollen ja niemandem etwas vorweinen, denn die Fähre fährt nur bei gutem Wetter. Den Rest des Tages verbringen wir also damit herumzurätseln, ab wann in Schottland schlechtes Wetter anfängt und uns zu wundern, warum alle Campingplätze ausgebucht sind, so dass wir den nehmen müssen, der übrig bleibt, auf den zwei Stellplätzen, die noch zu haben sind. Es sind die schönsten Stellplätze auf dem besten, preiswertesten Campingplatz direkt am Meer mit Blick auf, Dünen, Strand, Kletterfelsen, Skye, Fjord und Sonnenuntergang und neben uns einem kleinen Sandhaufen, was für Kinder ein Garten der Phantasie bedeutet. Der Wind pustet uns zwar gewaltig um die Ohren doch ich bin dankbar für einen Abend ohne Midges und Regen.

Es ist mein erster Geburtstag mit Mütze. Laut Kerzen, die beim morgendlichen Wind nur imaginär angezündet werden, bin ich jetzt 24 und werde mit Muscheln, Steinen, Schokokuchen, Sonnenschein und einer eigenen Olympus OM D (Bastians nun ehemalige Kamera, viiiiiielen Dank!!!) beschenkt. Wir verlassen das süße Mallaig per Schiff, die Sonne begleitet uns weiterhin und wir bewundern die wilde Fjordlandschaft aus der wir herausfahren. Was für ein traumhaft schönes gewaltig grünes Land! Und was für viele Grün- und Blautöne es in einem ganzen Blickwinkel gibt!

Per App lassen wir uns zu einem Stellplatz navigieren direkt vor den Bergen von Skye. Die Insel wird in der Mitte von den Cuillins durchzogen, beinahe alpine Berge bis zu 1000 Meter hoch. Die Bergspitzen verstecken sich in einem Dauernebel, aber wir stehen bei den Streichelbergen. Die nenne ich so, weil sie sie so rund und weich ausschauen, als ob man sie streicheln sollte. Die Weite die die Highlands ausstrahlen, erinnert mich an die Mongolei, obwohl ich noch nie dort war. Die Kinder werden aus dem Auto gelassen und warden erstmal lang nicht gesehen. Maja und Susanna haben von anderen Kindern zwei Fischfangnetze geschenkt bekommen, in denen nun irgendwo weit hinten beim Meer hinter den grünen Wiesen Steine, Muscheln und ein totes Fischlein gefangen werden. Oder sie warden nicht mehr gesehen, weil sie mal wieder in einem der tiefen Bachläufe verschwinden. Oder weil sie irgendwo in der Tiefe der Heidenlandschaft spielen. Oder ihre Stiefel im Moor spazieren führen. Erst ein Abendessen, ein Lagerfeuer und ein paar Eltern, die gerne ihre Kinder nochmal sehen wollen, überzeugen sie bei uns zu bleiben. Der nächste Morgen erwischt uns noch kälter als sonst, mittlerweile mögen es 13 Grad sein und nass. Mit den Markisen versuchen wir halbwegs ein trockenes Gebiet für zwei Tische und acht Stühle hinzubekommen, doch der Wind nieselt uns das Frühstück etwas feucht. Wohin nur mit einem Baby bei diesem Wetter, wenn eigentlich oder ans sich ja beide Eltern den Toyo zusammenpacken müssen? Es herrscht ein eindeutiges Ungleichgewicht an dem zeitlichen Ablauf bis zur Abfahrbereitschaft zwischen Toyo 1 und Toyo 2. Toyo 1 hat ein Klappdach, Zeug für fünf Personen und gefühltermaßen die Hälfte an Stauraum als Toyo 2 mit Alkhofen und nur vier Personen. Manchmal sind sie in fünf Minuten fertig, sagen sie, während Matthias und ich über eine Stunde von Tür zu Tür huschen, jeder irgendwo noch was wohin räumt oder umbaut ohne sich dabei möglichst in die Quere zu kommen oftmals mit einem erstaunten Henry in einem Arm. Es gleicht einem eingespielten Tanz, der mal funktioniert und mal nicht. Der uns aber doch sehr bewusst wird, wenn die Insassen von Toyo 2 einfach nur dastehen können und ihre dritte Tasse Kaffee heiß genießen.

So ganz genau einen Plan, was wir von Skye sehen wollen haben wir nicht. Und das kommt uns nun zu gute. Denn sonst wären wir nicht einfach nach der Talisker Destillery den Weg weitergefahren und am Ende auf einen einzigartigen Übernachtungsplatz gestoßen. Wir fahren einfach ein paar Straßen bis es nicht mehr weitergeht und machen zu Fuß den Rest, denn da steht ein altes Holzschild mit “Lighthouse“. Es geht durch Wiesen, Schafgatter, kleine Pfade entlang eindeutig auf einsame Klippen zu. Schafe und Widder fliehen vor uns und dann eröffnet sich der Blick auf die Weite einer Bucht, ein paar Inseln und Fjorde und vor uns eine kleine Halbinsel mit den Grundresten eines alten Leuchtturms. Wir sind froh, dass jeder bis dorthin heile ankommt ohne die Klippen herab zu stürzen. Wir sind absolut alleine und es ist ein wunderbarer Ort. Wir steigen vorsichtig mit den Kindern neben den Klippen zu einer süßen Steinbucht herab. Das Wasser ist glasklar, die Steine und Klippen teilweise tiefschwarz und keiner von uns möchte so schnell wieder weg. Auf dem Rückweg entdecken wir auf einem Plateau den perfekten Stellplatz. Genug Wind gegen die Mücken, eine Panoramablick über eine Bucht mit kleinen Hafen und grüne Hügelketten, eine ewiggroße Blumenwiese zum spielen und weit und breit einfach niemand da. Wir versuchen an mehreren Häusern herauszufinden, wem das Croftland gehört. Die Männer sind schon einige Häuser weit, da hält ein Auto neben mir, ein alter Mann schaut erfreut auf unsere zwei Toyos, ich finde schnell heraus, dass genau ihm das Land gehört und wir dürfen dort oben sehr gerne bleiben. Jubelnd fahren wir zurück durch die Gatter, verbringen einen goldsonnigen Abend dort, eine Frau bringt uns noch Eier vorbei und nebenbei schauen wir auf den Pier herab, wo sich die Womos und Camper am Wildcampplatz zerquetschen.

Unsere Kinder spielen, spielen und spielen. Oft brauchen sie gar kein Spielzeug dazu, manchmal verschwinden sie für eine Weile und tauchen wieder auf, selten machen sie irgendeinen Blödsinn, außer vielleicht am Rande des Abgrunds auf Gattern stehen und sich vom Wind wieder nach hinten pusten lassen, und beinahe gar nicht mehr gibt es irgendeinen Streit. Es tut so gut, sie so wild und frei zu sehen. Völlig egal wie dreckig und nass sie dabei werden, wieviel Zecken wir der armen, süßen Susanna wieder entfernen müssen oder wie arg die Haare völlig verzuseln! An solche superwichtigen Sachen denken auch nur wir Großen. Unsere Kinder leben uns vor, wie wichtig die anderen Sachen sind, wie Huckepack, Fangen, Verstecken, Herumschleudern, Pferd spielen, durch die Wiese rollen oder Umfallen. Ach hätten wir doch nochmal diese ganze Energie, dann ginge Abwasch, Wäsche, Kochen wie von alleine. Kein Wunder, dass sie essen wie die Scheunendrescher bei dem Überschuss an Bewegung und ewigfrischer Luft.

Vor einigen Tagen haben wir uns entschlossen die teure Fähre von Newcastle nach Amsterdam zu buchen. Was bedeutet wir kaufen uns auch eine Woche länger in Schottland dazu anstatt eine Woche stetige Rückreise über Dover. Dafür versuchen wir nun zwei Wochen ohne Campingplatz zu überleben, um wenigstens das Budget nicht völlig zu sprengen. Erst in Edinburgh möchten wir wieder auf einen Campingplatz und in der Fährkabine werden wir dann womöglich die Überfahrt mit Shower forever verbringen. Was für eine Challenge! Denn bei diesem Wetter duschen wir nun eiskalt draußen, müssen wir ständig unseren Wasserverbrauch kontrollieren, trocknet keine Wäsche, ist man ständig auf der Suche nach großen Mülleimern oder Stellen, wo wir unseren Pipitank entleeren können. Bei den Temperaturen kommen wir wenigstens nicht ins Schwitzen, ganz im Gegenteil, es wird nur noch so zwischen 8 und höchstens 15 Grad warm, nachts auch noch kälter. Meinen Maßstab an Temperaturen entnehme ich an der Anzahl von Reißverschlüssen, die ich zum Stillen aufmachen muss. Es sind vier und an weiteren vier Kleidungsschichten müssen Henry und ich uns auch noch durcharbeiten.

Unsere Reisroute richtet sich nach dem auffindbaren Supermärkten, also zur Inselhauptstadt Portree und nach Bastians Unwetterwarnungsapp. Und die sieht rot, denn in der Nacht soll es heftig stürmen und Gewittern. Wir brauchen etwas windgeschütztes und gewittersicheres. Nach langer regenreicher Suche erreichen wir eine atemberaubende Straße durch die Berglandschaft von Troshernish, der Nordosten der Insel. Wir fahren durch Nebelschwaden und grüne, nasse Märchenberge. Misty Skye wird auch gleichzeitig zu mystic Skye. Die Straße windet sich durch Moorlandschaft und Heide, Felsen und Bergkuppen. So sieht Vietnam aus, denke ich. Es ist unglaublich, und auch spät und so schlagen wir unser Nachtlager auf der freien, weiten Parkfläche nahe des Moores auf, mitten in den Bergen. Soweit der wetterfeste Plan zum Überleben bei Sturm und Gewitter! Wir stellen die Toyos einfach in 90 Gradwinkel auf und verbinden Markisen und Planen zu einem ungefähr trockenen und windgeschützen Dach, verschlingen selbstgemachte Burger vom Grill, Kochen heißen Tee auf dem wärmenden Lagerfeuer und huschen früh in die vom Wind schwankenden Kojen. Nicht zum ersten und letzten Mal sind wir dankbar für unsere Standheizung, dennoch schlafen wir dick eingemummelt ein. Irgendwie hat Bastians App da was verwechselt, denn anstatt des Thunderstorm stürmen am nächsten Tag die Touristen unser Lager auf dem Parkplatz. Matthias und Bastian schaffen es noch am frühen Morgen Fotos ohne Menschen zu machen bei einer kleinen Wanderung durch die vietnamesische Berglandschaft, die Felsengärten des Quiraing. Als der Familientrupp endlich starten kann reihen sich die Autoparkkolonnen die Straße hinauf und an jedem Felsvorsprung steht ein Chinese, Spanier, Franzose oder Deutsche um heldenmäßige Selfies zu schießen. Dennoch ist es gigantisch schön und ich sehne mich nach längeren Wanderungen durch diese ganzen schottischschönen Berge.

Skye ist tatsächlich eine Touri-Insel, wenn auch eine schöne. Wir halten noch an einem Touri-Spot und reihen uns in die Fotografenreihen auf den Klippen vor den Kilt-Rocks ein. Das wirkliche Highlight des Stopps sind jedoch die superleckeren Burger für Matthias mit Haggis (Schafmagen) für mich der Veggi-Haggis (also ein Brokkolimagen, und die Verkäuferin verspricht kichernd Matthias‘ Vokabular ab jetzt unter die Leute zu bringen) sowie unser Rettungseinsatz beim Herausziehen eines Mietwagens aus einer lochnesstiefen Schlammpfütze, für die unser Toyo nur ein süffisantes Lächeln übrig hat. Für Schottland braucht man echt ein 4×4, denn rechts und links der permanenten Single Track Roads ist viel Moor, Schlamm, Fels, Schlaglöcher oder wie wir schon festgestellt haben tiefe, versteckte Gräben, bei denen, wenn man aus Versehen reinfährt, das gegenüberliegende Rad plötzlich in der Luft hängt.

Raasay ist eine Nachbarinsel von Skye und ideal um der Masse zu entkommen, wobei “Masse“ in Schottland eine doch harmloser Menschenansammlung ist. Manchmal denke ich wir werden einen Menschenschock bekommen, wenn wir wieder in Deutschland sind. Ein Menschenschock, eine Hitzekollaps bei 25 Grad und Entzugserscheinungen von Schafen und grünen Bergen. Wir können froh sein überhaupt die Ehre zu haben die Fähre zu befahren, denn der sonst so loyale Matthias erlaubt sich glatt einen Regelverstoß im Königreich und fuscht sich frecherweise vor Toyo 2 beim Einfahren. Der Anschiss war kurz, knapp und sehr sehr laut. Kurze Zeit später kurven wir jedoch vergnügt auf einen hochgelegenen Picknickplatz mit Vier-Sterne-Blick auf Skye zu und stürzen zu. Regen, Midges, Wind, Lagerfeuer. So langsam ist es ein eingespieltes Miteinander und fast schon Gewohnheit, beinahe wie echte Schotten. Fehlt nur der Whiskey, angeblich hilft der gegen Midges und das Wetter wird besser. Dennoch ist dies der erste Platz den wir irgendwann nach dem dritten Regenguß und dem darauffolgenden Midge-Sturm fluchtartig verlassen, da die Viecher zu hunderten durch jede Fensterritze kriechen. Selbst das Aufziehen der uns mittlerweile begleitenden Kopfnetze gelingt nicht ohne irgendwelche mit drin zu haben. Die Flucht bringt uns jedoch die Straße weiter hoch und mit einem Mal sehen wir sie endlich! Meine Lieblingstiere, die Delfine!!!

Raasay hat eine berühmte Straße, die Calums Road. Diese Straße wurde vor vielen Jahren von einem Mann alleine gebaut um das weit abgeschiedene Dorf Arnish an den nächsten Ort anzubinden. Er hat 10 Jahre gebaut. Die Straße ist zwar mittlerweile überteert, doch führt sie weiterhin hoch und runter, rechts und links wie die Natur dort eben gerade so eine Weg hergeben kann für eine schmale Straße. Das Wetter wechselt sich beinahe minütlich ab, in einer steilen Bucht voller blauem Wasser und riesengroßer Muscheln verjagen uns die Midges doch vertröstet uns diese Insel mit ihrer Wildheit und ihren unbezahlbaren, sonnigen Aussichten auf Skye.

Wir verlassen noch selben Tag Raasay und Skye über die Brücke Kyle of Lochalsh und sind reif. Nicht für die Insel sondern für einen Campingplatz! Immerhin vier Nächte wild durchgestanden, aber in den Highlands zählen die das Vierfache, finden wir. Und alle neun Skye-Survivors sehnen sich einfach nur nach einer warmen Dusche, auch wenn Survivor-Kids das anders ausdrücken würden.

3 Kommentare

  1. 23. April 2020    

    Hallo, was für ein toller Bericht. Ich bin hier zufällig gelandet, weil man ja im Moment nicht reisen kann. Da hat es umso mehr Spaß gemacht, deinen Reisebericht zu lesen. Richtig cool!

    Grüße
    Tina

    • Itchy Feet's Gravatar Itchy Feet
      30. Mai 2020    

      Hallo Tina! Vielen Dank für dein Lob. Ich habe erst gerade deinen Kommentar entdeckt, weil ich nach so langer Zeit endlich mal wieder was schreibe. Wir haben auch ganz schön Fernweh… uns hat es nicht mehr gehalten, im Sommer geht es wieder los! Lieben Gruß, Miri

  2. Dany's Gravatar Dany
    22. August 2019    

    Mensch, mit 24 bist du aber eine junge dreifach-Mama 😀 Viel Spaß noch und bis nächste Woche, wenn das Wetter durchhält kommt ihr auch bei 30 Grad an!

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